Neulich auf der Arbeit

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit einigen Kollegen, welches einen starken Eindruck auf mich gemacht hat. Wir kamen auf das Thema Corona-Pandemie zu sprechen und ohne Vorwarnung fing ein Kollege an die typischen Verschwörungstheorien auszupacken. Er redete über Bill Gates, die Pharmaindustrie und wie eine weitreichende Verschwörung versuche eine neue Weltordnung zu etablieren. Er meinte die Pandemie wäre zu diesem Zweck organisiert worden und durch die Impfungen würde nun den Menschen Microchips zur Kontrolle implantiert. Die anderen Kollegen antworteten nur mit abwesenden Nicken und vielleicht mal einem „Ja, ja schlimm, ne?“. Nach einigem hin und her fragte ich ihn, warum er denn dann eine Maske tragen würde.  Er antwortete, man müsse sich ja auch anpassen und sowieso sei diese Verschwörung ja auch nicht unbedingt etwas negatives. Durch die Corona-Verschwörung würde wenigstens das Problem der Überbevölkerung angegangen werden und irgendjemand müsse ja herrschen.

Verschwörungen und Theorien dazu

Gedanken wie diese treffen offensichtlich den Zeitgeist, seit dem Beginn der Pandemie haben Verschwörungstheorien einen enormen Erfolg verzeichnen können. Daten aus dem Frühjahr 2020 legen nahe, dass 15% der Bundesbürger an eine Corona-Verschwörung glauben. (Eichhorn & Spöri, 2021) Zu diesen Zahlen passt es, dass am 20. März 2021 ungefähr 20.000 Menschen in Kassel gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie demonstrierten. Auch wenn nicht jeder Teilnehmer ein Verschwörungstheoretiker war, so dominierte die Angst vor einer Corona Diktatur. Der Zweifel an der Existenz des Virus vereinte darüber hinaus viele der Anwesenden.

Wortwörtlich sind Verschwörungstheorien Denkansätze, bei denen geheime Verschwörungen als Erklärung für bestimmte Ereignisse oder Umstände dienen. Natürlich gab es und gibt es immer wieder tatsächlich Intrigen und Komplotte. Der Glaube an Verschwörungstheorien zeichnet sich jedoch durch ein tiefgehendes Misstrauen aus, einem vagen Anderem wird grundsätzlich eine bösartige Absicht unterstellt. Wer nicht dieselben Ansichten hegt ist entweder ein naiver Mitläufer oder gar Teil der Verschwörung.  Dabei werden alle anderen Erklärungsansätze ausgeblendet und oft der Kontakt zum Boden der Tatsachen verloren. Sie zerstören daher die Motivation sich mit den vorherrschenden politischen Umständen zu beschäftigen und sich an deren Veränderung zu beteiligen. Vielmehr öffnen Verschwörungstheorien Tür und Tor für Extremisten.

Jede lebendige Demokratie ist auf ein gewisses Maß an Misstrauen, aber auch an Vertrauen gegenüber Autoritäten angewiesen. Dabei schließen sich diese beiden Pole nicht aus, sondern ergänzen und bedingen sich einander. Beispielsweise ist die unabhängige Kontrolle von Polizeigewalt wichtig um das Vertrauen in die Sicherheitskräfte zu stärken.  Verschwörungstheorien lassen keinen Platz für Vertrauen, sondern nur noch für Misstrauen und Unterstellungen. Diese Denkweisen zwingen alle Themenfelder in ein falsches Alles-oder-Nichts. So werden Kompromisse nahezu unmöglich. Paradoxerweise lähmen Verschwörungstheorien politische Beteiligung. Wenn die Regierung von einer geheimen Gruppe aus den Schatten gesteuert wird, welchen Sinn macht es dann für eine Rentenerhöhung zu protestieren?

Die Idee, das eine geheime Organisation versucht eine neue Weltordnung zu etablieren, ist alles andere als neu. Viele bereits bestehende Verschwörungstheorien wurden um den Themenkomplex Corona erweitert und konnten durch die Pandemie rasant an Anhängern, sowie an Einfluss gewinnen. So gab es bereits Anti-Impf Organisationen im 19 Jahrhundert. Das Internet hat jedoch zu einem „Goldenen Zeitalter“ der Anti-Impf Verschwörungen geführt (Stein, 2017). Für solche Gruppierungen ist die Angst, vor unausgereiften COVID 19 Impfstoffen und Nebenwirkungen, Wind in Ihren Flügeln. Wodurch sie nun in einem „Platin Zeitalter“ angekommen sind.

Thomas und Zhang (2020) fanden in ihrer Untersuchung für das Australian Strategic Policy Institute heraus, dass bereits einige wenige, aber dafür sehr aktive Nutzer in den sozialen Medien viel Aufmerksamkeit für Verschwörungstheorien entwickeln können. Aufgrund der Menge ihrer Beiträge, werden sie von den benutzten Algorithmen auch anderen Nutzern vorgeschlagen, die sich für das allgemeine Thema interessieren. Somit bekommt ein beliebiger Nutzer auf der Suche nach aktuellen Informationen zur Lage der Pandemie noch Verschwörungstheorien als ungefragte Beilage.

Wie kommen Personen dazu an Verschwörungen zu glauben? Es sind vor allem Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, die anfangen einen solchen Glauben zu entwickeln. Sie sind enttäuscht von der politischen und sozialen Ordnung, sie fühlen sich zurückgelassen. Der Glaube an Verschwörungen ist eine direkte Folge ihres Frusts. Zu dieser Antwort kommt der englische Politologe Hugo Drochon in seinem Aufsatz „Who Believes in Conspiracy Theories in Great Britain and Europe?“. Er arbeitete mit Daten aus zwei Umfragen in 2015 (nur UK) und 2016 (sechs verschiedene EU-Staaten). Seine Untersuchungsergebnisse zeigen auch, dass in Europa vor allem in Länder mit hoher Einkommensungleichheit der Glaube an Verschwörungstheorien verbreitet ist. Nach dem niederländischen Sozialpsychologen Van Prooijen (2018) werden Politiker, Wirtschaftsführer und „Die da oben“ allgemein als eine andere, fremde Gruppe wahrgenommen von Verschwörungstheoretikern.

Spöri und Eichhorn liefern erste Erkenntnisse zum Glauben an Corona-Verschwörungstheorien in Deutschland. Sie analysierten Daten vom Values-in-Crisis Projekt aus dem Frühjahr 2020. Unter den Anhängern von Verschwörungstheorien finden sie, dass nur 6% der Bundesregierung vertrauen. Bei 43% dieser Gruppe besitzen die sozialen Medien ein höheres Ansehen, als die klassische Presselandschaft.[1] Spöti und Eichhorn untersuchten ebenfalls die Wertvorstellungen von Anhängern von Verschwörungstheorien. Vor allem die Werte Konformität und eine Ausrichtung auf das Allgemeinwohl (Universalismus) treffen auf weniger Zustimmung, bei den Anhängern von Verschwörungstheorien. Diese Ergebnisse lassen sich so interpretieren, dass soziale Ausgrenzung zu mangelndem Vertrauen in die Eliten und eine Besinnung auf die eigene kleine Gemeinschaft führt. Und wiederum aus diesen Umständen erwächst der Glauben an Verschwörungstheorien.

Um aus dieser falschen Wir-gegen-Sie-Mentalität auszubrechen schlägt Van Proojien, in seinem Aufsatz „Empowerment as a Tool to Reduce Belief in Conspiracy Theories“, Selbstbestimmung, Teilhabe und Emanzipation als effektive Lösungen vor. Dadurch soll eine produktive Denkweise, die auch Raum lässt für Hoffnung und Optimismus gefördert werden. Damit setzt Van Proojien an den Wurzeln des Problems an. Es geht ihm darum, die Umstände zu überwinden, die zu einem Glauben an Verschwörungstheorien führen. Im großen und vielfältigen Bereich des Empowerments hebt er vor allem die „Procedural Justice“ hervor, also die Gerechtigkeit im Entscheidungsprozess. Wichtig ist es für ihn dabei, dass Autoritäten, wenn sie Beschlüsse fassen auch nach außen Gerechtigkeit ausstrahlen, transparent in ihrem Handeln sind und dass Betroffene sich gehört, sowie respektiert fühlen.

Deliberation als ein Lösungsansatz

Der Vorschlag von Van Prooijen öffnet den direkten Weg für den Einsatz der Methode der Deliberation. Seit Jahren führt Social Science Works  deliberative Seminare in Deutschland durch. In unserem Seminaren bekommen die Teilnehmer zuerst einen informativen Input, damit sie einen adäquaten Überblick über das Thema bekommen. Im Anschluss moderieren wir eine Diskussion zwischen allen Teilnehmern. Dabei ist es wichtig, dass Respekt gewährt bleibt und sich alle Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen. Diese Art und Weise eine Zusammenkunft zu gestalten, soll verhindern das sich eine Wir-gegen-Sie Mentalität entwickelt oder das sich Personen ausgeschlossen fühlen.

Corona hat schnell die Rolle des Wetters oder Sports bei Unterhaltungen eingenommen.  Es vergeht kaum ein Gespräch bei dem dieses Thema nicht auftaucht. In einem deliberativen Workshop wäre der Fokus jedoch nicht die aktuelle Lage, sondern darauf wie wir als Gesellschaft mit einer solchen Bedrohung umgehen möchten.  In der aktuellen Pandemie geprägten Lage stellen sich Fragen zu Freiheit, Macht, Gleichberechtigung und Solidarität. Inwieweit dürfen individuelle Rechte eingeschränkt werden? Wie sollten die zusätzlichen Lasten in der Familie aufgeteilt werden? Welche Wertschätzung sollten unterschiedliche Bereiche unseres sozialen Lebens bekommen? Wie möchten wir in Zukunft arbeiten? Wer soll an den Entscheidungen zu den Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie beteiligt sein?

Ein solcher deliberativer Workshop würde eine hervorragende Gelegenheit bieten sich tiefgründiger mit verschieden Aspekten der Informations-, Forschungs- und Medienlandschaft zu beschäftigen. Man könnte darüber sprechen wie sich fehlerhafte oder Manipulierte Nachrichten verbreiten. Man könnte belichten wie Medizinische-, Virologische-, aber auch Sozialforschung betrieben wird. Auch könnte man die überwältigende Menge an Daten und Statistiken thematisieren, die sich im Internet finden lassen.

Falls, wie bei meinen Kollegen zuerst, keine Einsprüche erhoben werden, dann kann es zu weiterer Legitimierung von Verschwörungstheorien führen. Auch bei einer Situation bei der zwei Parteien gegeneinander Ansprechen kann zu einem verzehrten Bild bei den anderen Teilnehmern führen. Das fällt unter den Stichpunkt „False Balancing“ und ist vor allem in den Medien ein ernst zu nehmendes Problem. Es kann nämlich der Eindruck entstehen, dass eine Position beliebter, legitimer oder angesehener ist, als dies eigentlich der Fall ist. In einem solchen Fall ist eine gekonnte Moderation entscheidend für den weiteren Erfolg der Deliberation.  Es soll zu keinem Aufeinanderprallen kommen, stattdessen soll es immer klar sein, dass alle Teilnehmer im selben Boot sitzen. Trotzdem wird angestrebt, dass alle Teilnehmer ihre eigenen Einstellungen hinterfragen und lernen andere Einstellungen als zulässig zu betrachten, ohne böswillig zu sein. Die Teilnehmer sollen die Erfahrung machen, dass es möglich ist rationelle Auseinandersetzungen zu haben, auch über Themen wie Corona. Ein solches Aufeinandertreffen ist für alle lehrreich, auch für diejenigen, die keiner Verschwörungstheorie anhängen. Sie lernen dadurch wie sie im Alltag konstruktiv mit diesen Überzeugungen umgehen und ihre eigenen Standpunkte verteidigen können.

Der Glaube an Verschwörungstheorien hat durch die Pandemie und die dadurch verursachten Probleme, Verunsicherungen und Konflikte einen großen Zulauf bekommen. Um eine lebendige Demokratie zu erhalten ist es notwendig auf die Menschen einzugehen, die sich zurückgelassen fühlen und die sich diese extreme Situation, in der wir uns befinden, mit Verschwörungen erklären.  Ein geeignetes Mittel um die verschiedensten Menschen wieder einzubinden ist die Deliberation. Durch deliberative Veranstaltungen und partizipative Events kann ein Gemeinschaftsgefühl aufgebaut werden, verschiedene Standpunkte erhellt und das Vertrauen in unsere Demokratie gestärkt werden.

Quellen

Blokland, H. (2021). Das Misstrauen der deutschen Bürger gegenüber den etablierten Medien und die Folgen für die Demokratie.

Drochon, H.(2019). Who Believes in Conspiracy Theories in Great Britain and Europe? In Uscinski, J. E. (Hrsg.), Conspiracy Theories and the People Who Believe Them (S. 337 – 346) New York, USA: Oxford University Press

Goddemeier, M. (20.03.2021). Zusammenstöße zwischen „Querdenkern“ und Polizei in Kassel. Abgerufen 05.04.21 von https://www.hessenschau.de/gesellschaft/20000-menschen-bei-demo-in-kassel-querdenker-und-polizei-stossen-gewaltsam-aufeinander-,protest-kassel-102.html

Prooijen, J.W. van (2019). Empowerment as a Tool to Reduce Belief in Conspiracy Theories. In Uscinski, J. E. (Hrsg.), Conspiracy Theories and the People Who Believe Them (S. 432 – 442) New York, USA: Oxford University Press

Proojien, J.W. van (2018). The Psychology of Conspiracy Theories. New York, USA: Routledge

Spöri, T. & Eichhorn, J.(2021). Wer glaubt an Corona-Verschwörungsmythen? Der Einfluss von Soziodemographie, politischen Einstellungen und Wertehaltungen in Deutschland. Abgerufen 11.06.21 von https://dpart.org/wp-content/uploads/2021/03/Corona-Verschw%C3%B6rungsmythen-und-Wertevorstellungen-in-Deutschland.pdf

Stein RA. The golden age of anti-vaccine conspiracies. Germs. 2017;7(4):168-170. Published 2017 Dec 5. doi:10.18683/germs.2017.1122

Thomas, E., & Zhang, A. (2020). (Rep.). Australian Strategic Policy Institute. doi:10.2307/resrep25082

Anmerkung

[1] Zum komplizierten Verhältnis zwischen Medien und der deutschen Bevölkerung findet sich mehr bei Blokland 2021.

Leave a Reply

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.