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In ihrer Ausgabe vom 13. August 2021 berichtete die Märkische Allgemeine Zeitung über eine Sitzung des Ausschusses für Bildung, Kultur, Sport und Soziales in Rangsdorf, in der es um unseren Bericht über die Situation in den beiden Flüchtlingslagern in dieser Gemeinde ging. In unserer Analyse hatten wir übrigens nicht erwähnt, dass es sich um die Gemeinde Rangsdorf handelt, da wir davon ausgehen, dass es in Deutschland Hunderte von Rangsdorfern gibt und dass Hunderttausende von Menschen betroffen sind. Die Erwähnung der betreffenden Gemeinde erweckt den falschen Eindruck, dass hier speziell Fehler gemacht wurden, während es sich in Wirklichkeit um ein systematisches Problem handelt. Leider wird in diesem Bericht hervorgehoben, dass eine fehlende Integration in erster Linie zu Radikalisierung führt. Das ist nicht das, was wir behauptet haben. Die fehlende Möglichkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, führt in der Regel zunächst zur Resignation, zur Entstehung einer neuen Unterschicht ohne Motivation, Perspektiven und Chancen. Nur in wenigen Fällen kommt es in der Regel zu einer Radikalisierung, die wir in Rangsdorf aber noch nicht beobachtet haben. Eine kleine Anzahl von radikalisierten Menschen kann jedoch große Auswirkungen haben.
Udo Böhlefeld. Chancen, dilemmas und Sackgassen. Sozialwissenschaftler aus Potsdam legen ernüchternde Analyse zur Situation Geflüchteter in Rangsdorf vor. Märkische Allgemeine Zeitung. 13. August 2021, Seite 17.
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Eine große Zahl Geflüchteter lebt seit 2016 im Rangsdorfer Übergangswohnheim. Mit einer Analyse unternimmt die Gemeinde den ersten Schritt, um den Menschen eine Perspektive zu verschaffen.
„Chancen, Dilemmas und Sackgassen“, so haben Professor Hans Blokland und Mirjam Neebe vom Potsdamer Institut „Social Science Works“ einen Bericht überschrieben, der großen Raum im Ausschuss für Bildung, Kultur, Sport und Soziales in Rangsdorf einnahm. Die Situationsanalyse, die einen Überblick über die Problemlagen liefern sollte, ließ manch ein Ausschussmitglied einigermaßen ratlos zurück.
Die Sozialwissenschaftler aus Potsdam sollten sich ein Bild über die Lebensbedingungen und Umstände der in Rangsdorf lebenden Geflüchteten machen. Dazu hatten sie die Gemeinde mit einem umfangreichen Fragenkatalog ausgestattet: Diese wollte mehr über die aktuelle Situation der Geflüchteten wissen, welche Probleme es gibt und welche tatsächlich von den beteiligten Organisationen wahrgenommen werden. Zu ihnen zählen unter anderem die Ausländerbehörde, das Jobcenter, die Volkshochschule, die Sozialarbeiter in den Wohnheimen und ehrenamtlich Engagierte wie der Rangsdorfer Verein „Grenzenlos“.
Im Hintergrund gärt es
Ein Fazit, das Mirjam Neebe am Ende ihres Vortrags für die Mitglieder des Ausschusses zog, sei an dieser Stelle vorweggenommen: „Noch gibt es keine offensichtlichen Spannungen, aber im Hintergrund gärt es“, sagte die Sozialwissenschaftlerin. Die Gründe dafür sind vielschichtig. So leben zwar inzwischen acht Familien in eigenen Wohnungen, aber die deutliche Mehrzahl lebt zum Teil seit Jahren in zwei Containerdörfern. Am Kurparkring leben 55 Personen, 30 davon wohnen bereits länger als drei Jahre hier. An der Seebadallee leben weitere 57 Geflüchtete, 23 von ihnen sind 2016 nach Rangsdorf gekommen und leben seitdem in dem „Übergangswohnheim“.
„Dabei versteht sich von selbst, dass Containerwohnungen nicht in das Bild passen, das wir hierzulande von akzeptablem Wohnraum haben“, kommentierte Neebe die ernüchternden Zahlen. Beengte Wohnverhältnisse ohne Privatsphäre. Konflikte zwischen Bewohnern. Eigentlich soll privater Wohnraum nach Erreichen eines Aufenthaltsstatus die Integration der Geflüchteten befördern. „Doch auch nach einem abgeschlossenen Asylverfahren sind die Aussichten auf eigenen Wohnraum gering, zumal in der Gemeinde Rangsdorf. Faktisch verfügt Rangsdorf über so gut wie keinen Wohnungsleerstand.“
Mangelnde Sprachkenntnisse sind ein Dilemma
Rund ein Drittel der Bewohner des Kurparkrings verfügt über mangelhafte bis gar keine Deutschkenntnisse, „auch wenn sie schon viele Jahre in Deutschland leben“, stellen Blokland und Neebe in ihrer Situationsanalyse fest. Zwei Drittel sprechen die Sprache wenig bis schlecht.
Zum Teil scheitern sie an den Institutionen: So erhalten nur anerkannte Asylbewerber Zugang zu geförderten Sprachkursen. Die Volkshochschulkurse (VHS) „Deutsch für Ausländer“ wurden mit Beginn der Pandemie eingestellt. Die Integrationskurse der VHS finden ausschließlich entlang der Bahnlinie RE 3 statt – also in Ludwigsfelde und Luckenwalde. „Blankenfelde, Rangsdorf, Zossen und Wünsdorf – die größte Erstaufnahmeeinrichtung im Landkreis – sind davon völlig abgeschnitten“, sagt Neebe.
Chancen der Frauen noch schlechter
Schlechte bis gar keine Deutschkenntnisse erschweren Behördengänge und die Integration in den Arbeitsmarkt – das A und O, um eine Bleibeperspektive zu entwickeln. Noch schwerer wiegen die Hemmnisse bei den geflüchteten Frauen. Ihre Chancen sind noch schlechter als die der Männer. Für die gilt allerdings: „Die, mit denen wir sprechen konnten, würden gern arbeiten, um ein eigenes Einkommen zu verdienen. Doch dazu müssten sie Deutsch lernen, und die Möglichkeiten dazu sind in Rangsdorf sehr begrenzt.“
So sehen die Potsdamer Wissenschaftler die Gefahr „ständiger Frustration“. Enttäuschungen, die über kurz oder lang zu „einer Radikalisierung“ führen. Für den Ausschuss ist das ein Alarmsignal. „Ich sehe in Ihrer Analyse, dass zum Teil sofortiger Handlungsbedarf besteht“, äußerte die Vorsitzende Jeannette Averhaus (FDP). Und Ausschussmitglied Michael Schwarz forderte, die die Landesregierung tragenden Parteien sollten ihre Mitglieder Danny Eichelbaum (CDU) und Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) auffordern, mal in ein solches Haus zu gehen. Schwarz: „Wir diskutieren hier Ratlosigkeit.“
Von Udo Böhlefeld
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