Sahba Salehi
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Wir haben dieses Interview mit einer iranischen Frau, Sahar, und ihrer Tochter, Baran, geführt. Sie ergänzten sich beim Erzählen. Um die Lektüre zu erleichtern, haben wir ihre Gespräche jedoch in separate Abschnitte unterteilt.

 

Sahar

Ich bin 43 Jahre alt und lebe seit etwa viereinhalb Jahren mit meiner Familie in diesem Heim. Ich habe an einem B1-Deutschkurs teilgenommen, aber den Test nicht bestanden. Im Moment haben wir einen neuen Kurs beantragt, aber der Brief ist noch nicht angekommen und wir warten noch ab.

Ich lebe hier mit meinem Mann und meiner Tochter. Wir haben vorher in Teheran gelebt, und ich war Hausfrau. Meine Tochter war in der Schule und mein Mann arbeitete. Wir haben dort eine Wohnung gemietet, und dann waren wir wegen einiger Probleme meines Mannes gezwungen, auszuwandern und hierher zu kommen. Wir kamen zuerst in Frankreich an. Der Schleuser hat uns dorthin gebracht und von dort aus wurden wir hierhergeschickt. Ich glaube, dies ist das vierte Heim, in dem wir waren. Wir haben uns zuerst irgendwo in der Nähe von Hamburg vorgestellt, aber sie haben uns hierhergeschickt. Wir haben zwei Wochen im Lager Eisenhüttenstadt verbracht und sind von dort direkt in dieses Lager gekommen. Wir haben einmal ein Vorstellungsgespräch gehabt, aber unser Fall wurde abgelehnt. Wir warten immer noch auf einen Brief, in dem uns mitgeteilt wird, wann das nächste Gespräch stattfindet und wie es weitergeht.

Ich weiß nicht mehr, wie wir beschlossen haben, hierher zu kommen. Ich bin mit den Problemen hier so überfordert, dass ich mich nicht erinnern kann. Mein Schwager wohnt auch hier. Vielleicht sind wir hierhergekommen, damit er uns helfen kann, wenn wir Schwierigkeiten haben. Aber wir wussten nichts über Deutschland. Wir wollten nur weglaufen aus den Schwierigkeiten, in denen wir steckten.

Mein Mann ging für etwa elf Monate in einer Firma in einer anderen Stadt arbeiten, aber leider wurde er entlassen. Jetzt hat er zum Glück seit zwei Monaten einen Vertrag an einem anderen Ort.

Wir kennen die Leute hier, zumindest grüßen wir jeden hier. Es gibt immer neue Leute, die kommen und gehen. Aber Heute, ich weiß nicht, ich muss das wohl sagen, ist das Leben im Heim sehr schwierig geworden.  Die Zahl der Bewohner ist zu hoch, und die Kinder machen viel Lärm. Mein Mann muss um 5 Uhr morgens aufstehen und die Kinder hier rennen bis 11 Uhr nachts durch den Flur.

Sie sagen uns alle, wir sollen einfach warten. Es gab hier Leute, die nach uns kamen und schon wieder weg sind, und das hat uns sehr beschäftigt. Das Warten hat uns einfach so müde gemacht. Jetzt geht mein Mann arbeiten, und wir haben Briefe an das Sozialamt geschickt, dass wir dieses Heim einfach verlassen wollen, wir wollen die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr, gebt uns einfach die Wohngenehmigung, damit wir eine Wohnung finden und umziehen können. Mein Mann muss drei Monate lang arbeiten gehen, und dann schicken wir die Gehaltsabrechnung, um das Verfahren zu erledigen.

Im Heim besprechen wir die Dinge unter uns. Aber wenn wir dann hier ins Büro gehen und darüber versuchen zu reden, gehen sie nicht wirklich auf die Probleme ein. Eigentlich sagen die nicht viel mehr als: “So ist es nun mal, komme einfach damit klar”.

Es gibt hier mehrere Familien, und für manche Dinge, wie die Reinigung der Toiletten, ist es normal, dass sie unter den Frauen aufgeteilt wird. Aber bei manchen Dingen hier, passiert nichts. Die Frau, die vor diesem Mann hier die Chefin war, die hat nicht darauf geachtet, ob die Reinigungskraft kommt oder nicht. Glauben Sie mir, sie würde ihre Hosen hochkrempeln, und alle Treppen und Flure selber putzen. Es war ihr egal, dass sie der Chefin war. Ich habe ihre Einstellung wirklich geschätzt. Aber nachdem sie weg war, sind die Flure hier schrecklich schmutzig geworden. Als sie noch hier war, haben wir regelmäßig Partys gefeiert, jeder hat etwas gekocht und mitgebracht. Das war wirklich gut für die Moral der Flüchtlinge. Sie kümmerte sich sehr um alle, nicht nur um uns, sie mochte alle hier. Sie kam immer an die Tür und fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich wünsche ihr wirklich alles Gute, wo immer sie auch ist. Sie hat uns bei allen persönlichen Dingen geholfen, um die wir sie gebeten haben.

Früher gab es hier jeden Samstag ein Treffen mit deutschen Leuten. Sie hatten einen Raum für Flüchtlinge, und wir gingen dorthin und trafen Menschen aus verschiedenen Kulturen, aus der ganzen Welt, und schlossen Freundschaften mit ihnen. Mit Corona wurde das Ganze dann abgesagt. Wir sind ein paar Mal über das Internet mit ihnen in Kontakt geblieben. Wir haben damals auch angefangen, Masken zu basteln; ich, mein Mann und einer unserer Freunde. Sie baten uns, zu helfen. Sie stellten uns einen Raum zur Verfügung und wir begannen zu dritt, Gesichtsmasken zu nähen. Wir machten das ein paar Monate lang und verteilten sie überall kostenlos. Dann bedankten sie sich bei uns die Stadtverwaltung Luckenwalde. Unsere Namen und Fotos wurden in den Zeitungen abgedruckt.

Ich denke, die Beziehung zu den Menschen hier hängt von jedem Einzelnen ab. Ich versuche, die Leute zu grüßen, ob sie nun respektvoll sind oder nicht. Es gab viele nette Menschen und viele, die mich schlecht behandelt haben. Und ich verstehe es, wenn sie das tun. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich persönlich noch nicht viel schlechtes Verhalten gesehen.

Wir hatten viele Pläne für die Zukunft, aber wir sind schon so lange hier, dass wir uns gar nicht mehr an sie erinnern. Jetzt ist unser größtes Ziel, hier rauszukommen. Und mit Corona hat sich auch alles verändert. Vor der Pandemie hatten wir viele Pläne, die wir mit Gottes Hilfe umsetzen wollten. Aber Corona schränkte alles ein, wir durften nirgendwo hin, nicht einmal unsere Verwandte besuchen, die in der Nähe von Hamburg wohnt. Wir hatten natürlich Angst, sowohl um unsere, als auch um ihre Gesundheit. Jetzt hat das Sozialamt wieder geöffnet und wir können Termine machen, wenn es etwas zu tun gibt.

Mein Mann hat gerade einen Job angefangen, und ich selbst, ich habe viele Bewerbungen abgeschickt, aber bis jetzt kam keine Antwort.

Natürlich möchte jeder mit der Gesellschaft, in der er lebt, vertraut sein. Man möchte so leben wie sie, so sein wie sie. Ich möchte mit den Menschen verbunden sein und nicht isoliert oder getrennt werden. Ich denke die ganze Zeit an diese schwierige Sprache. Die Interaktion mit Menschen findet meist in der Arbeitsumgebung statt. Wenn ich die Sprache beherrsche, kann ich in der Arbeit oder in der Gesellschaft unter Menschen sein. Das ist sehr effektiv. Ich glaube, dass man durch das Erlernen einer Sprache näher an die Menschen herankommen kann. Wenn ich mich jetzt mit Deutschen unterhalte, sage ich ihnen zuerst, dass ich ein wenig weiß, und sie sagen, das sei kein Problem, und reden dann in einfache Sprache weiter. Die Einstellung der Leute ist für mich auch sehr wichtig. Ich persönlich bin ein geduldiger Mensch, und ich kann mit allen Arten von Menschen umgehen. Aber es hängt alles davon ab, wie die Person mich behandelt, so dass ich mit ihr weiter kommunizieren kann oder nicht.

Wir haben hier viele Erfahrungen gemacht. Es ist ein neues Land, neue Regeln und neue Menschen. Was die Deutschen über uns wissen sollten … Ich denke, sie sollten wissen, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt. Hier gibt es viele Farsi sprechende Leute. Seit wir hier sind, sind die Afghanen sehr hilfsbereit zu uns. Ich habe früher im Iran gelebt, aber ich hatte keine Ahnung vom Leben und Glauben eines Afghanen und auch nicht von dem eines Deutschen. Diese Erfahrung habe ich in den vier Jahren, die ich hier lebe, gemacht. In den 18 bis 19 Jahren, in denen ich im Iran verheiratet war, hatte ich nichts von alledem erfahren. Damals hat es mich nicht interessiert, warum Afghanen in den Iran kommen, um zu arbeiten, weil ich dachte, sie sind wie wir und ich hatte kein Problem damit, dass sie in mein Land kommen, ich habe mir nie Gedanken über diese Dinge gemacht. Und seit ich hier bin, weiß ich, wie viele kultivierte, anständige Menschen unter ihnen sind. Davor hatte ich keinen Kontakt mit ihnen. Vielleicht habe ich sie auch nur als Bauarbeiter gesehen und mich von ihnen distanziert. Oder ich hatte nie Kontakt zu einer afghanischen Frau. Aber seit ich hier bin, habe ich viele verschiedene Menschen gesehen, mit denen man sich anfreunden und Beziehungen haben kann.

Die Deutschen haben diese Eigenschaft, ein bisschen kalt zu sein, denke ich. Aber es gibt auch viele sensible, emotionale Menschen unter ihnen. Ich denke, sie sollten erkennen, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt, und ihre Einstellung gegenüber den Flüchtlingen verbessern. Nicht jeder ist ein schlechter Mensch, und die Menschen werden nicht böse aus dem Mutterleib geboren. Die Menschen haben unterschiedliche Situationen und unterschiedliche Lebenserfahrungen. Letztendlich hat jeder, der hierhergekommen ist, ein Problem gehabt. Vielleicht ist ein kleiner Prozentsatz nur eingewandert, um mehr Spaß zu haben oder um ein luxuriöseres Leben zu führen, aber viele hatten ein Problem, das sie dazu veranlasst hat, hierher einzuwandern.

Baran

Wir haben vor Corona einen Deutschkurs besucht. Ich habe mein B1 gemacht und ich glaube, meine Mutter hat das A-Niveau erreicht. Für den Kurs mussten wir in eine andere Stadt fahren. In dieser Stadt gibt es keinen Kurs für Leute wie uns. Normalerweise kommen Leute aus allen anderen Städten zu diesem Kurs. Der Deutschkurs dauerte sechs Monate. Wir haben ihn gemeinsam besucht. Meiner wurde sogar noch länger, weil der Kurs zwischendurch abgebrochen war. Und dann kam der Lehrer etwa einen Monat lang nicht, ich weiß nicht, ob er krank war. Meine erste Klasse dauerte etwa acht Monate und dann hatte ich eine Wiederholung, die, glaube ich, drei Monate dauerte.

Als wir das erste Mal hierherkamen, bin ich auch ein paar Monate zur Schule gegangen, in der neunten Klasse. Die Schule war so schwierig, dass ich nicht mehr hingegangen bin. Ich glaube, ich war nur zwei bis drei Monate dort. In der Schule bin ich nur in eine Willkommensklasse gegangen, weil ich damals kein Deutsch konnte und gerade erst angekommen war. Ich habe mich dort früh angemeldet. Wir hatten einen arabischen und einen deutschen Lehrer. Die deutsche Lehrerin war vielleicht einmal in der Woche da, und die arabische Lehrerin war meistens dabei. Die meisten Schüler in der Klasse waren auch arabischsprachig, und es hat mich gestört, dass in der Klasse mehr Arabisch als Deutsch gesprochen wurde. Und es fand kein Unterricht statt. Ich weiß nicht, ob das die Regel war oder ob die Lehrerin sich nur die Zeit vertreiben wollte. Ich dachte mir, dass ich mehr Arabisch als Deutsch lerne. Und unser Lehrer war nicht wirklich gut, und die Kinder in der Klasse waren nicht wirklich gut erzogen, und es war schwierig.

Das Schwierigste am Leben im Heim ist die Sauberkeit, um die man sich nicht kümmert. Früher gab es jemanden, der täglich kam und alle Bäder und Duschen reinigte. Aber jetzt, mit diesem Chef, funktioniert nichts mehr so, wie es sollte. Die Lobby ist nicht mehr in Ordnung. Früher gab es dort viele Stühle und Tische, an denen wir sitzen konnten, um Tee zu trinken und uns zu unterhalten. Jetzt lässt die Person im Büro niemanden mehr dorthin, und nichts ist mehr an seinem Platz. Und die Reinigung findet jetzt nur alle zwei Wochen statt. Es ist wirklich furchtbar. Manchmal kommt niemand zum Putzen und wir machen es selbst.

Der Zustand des Heims ist jetzt so, dass, wenn wir irgendwelche Einwände zu den Problemen hier machen, der Chef sich über uns ärgert, und zwar so sehr, dass er einige Tage lang nicht mit uns sprechen würde. Es gibt in dieser Stadt Gruppen, die Einwanderern helfen. Es gibt eine deutsche Gruppe, und sie kommen und fragen, ob wir irgendwelche Probleme haben. Wir sagen es ihnen, und sie gehen zum Chef und fragen ihm, warum dieses und jenes Problem nicht gelöst wird. Er wird wütend auf uns und sagt: “Warum erzählt ihr den Leuten draußen von den Problemen hier?”

Für Einwanderer ist es schwierig, hier einen Job zu finden. Den Job, den mein Vater bekommen hat, hat er durch reines Glück gefunden. Eines Tages kam der Pfarrer der Kirche und sagte, dass ein Unternehmen Arbeitskräfte sucht und dass der Manager dort ein netter Mensch ist. Sie sind hingegangen und haben geredet und er hat ein Praktikum gemacht und dann einen Vertrag bekommen.

Ich selbst weiß noch nicht, welches Fach ich studieren möchte. Es ist eine große Entscheidung und ich denke darüber nach. Ich mag vor allem künstlerische Bereiche, aber das scheint hier nicht zu funktionieren. Am Anfang wollte ich hundertprozentig Friseurin studieren. Aber dann habe ich mich über andere Ausbildungen informiert und meine Meinung ein wenig geändert. Ich weiß noch nicht genau, was ich machen soll.

Ich denke, es ist besser, wenn die Leute gar nicht nach Deutschland kommen. Aber wenn es nach mir ginge, würde ich ihnen sagen, dass sie nicht auf die Ratschläge anderer hören und das tun sollen, was sie für sich selbst am besten finden. Auf diese Weise ist es ihre Entscheidung, was auch immer mit ihrem Asyl-Fall passiert. Anfangs haben wir so viele Ratschläge bekommen, die unseren Fall behinderten. Ich finde, die Einwanderer sollten nicht auf andere Leute hören und tun, was sie wollen. Es gibt hier Leute, die sich den Neuankömmlingen gegenüber überlegen fühlen wollen. Sie wollen, dass man klein bleibt und sich nicht weiterentwickelt. Und Personen, die hier neu sind, wissen nichts von diesen Dingen.

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