Laila Keeling & Anjali Zyla
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Wir haben dieses Interview mit einer Familie geführt, aber ihre Geschichten getrennt, um ihre unterschiedlichen Perspektiven auf ihr bisheriges Leben in Deutschland zu zeigen.

 

Mama Stacy

Wir sind 2018 aus Cameroon nach Deutschland gekommen, aber an das genaue Datum erinnere ich mich nicht mehr. Es ist eine ziemlich lange Geschichte, und sie ist sehr emotional. Ich glaube nicht, dass ich sie jetzt erzählen kann, aber es gab viele Umstände, die uns dazu brachten, unser Land zu verlassen, und deshalb sind wir jetzt hier. Wir warten immer noch darauf, dass der Prozess durchlaufen wird, dass sie uns hier akzeptieren. Ich kann deswegen über manche Themen nicht mehr sagen, denn es gibt Dinge, die für mich und meine Familie privat und vertraulich sind.

Dieses Lager war bisher gar nicht so schlimm. Das einzige Problem, das wir mit diesem Lager haben, ist die Wohnsituation. Wir sind alle sechs in einem einzigen Zimmer zusammen. Das Zimmer ist mit sechs Betten und all unseren Sachen ziemlich vollgestopft. Mit vier Kindern ist das schwierig. Diese Kinder werden jetzt erwachsen, deshalb wollen wir nur ein zusätzliches Zimmer.

Ich verstehe das nicht, denn ich habe versucht, mich bei den Verantwortlichen hier zu beschweren, aber es wurde nichts gemacht. Sie sagen uns, das ist euer Zimmer, ihr müsst warten, bis euer Prozess vorbei ist. Sie sagen: “Da gehört ihr hin”. Aber wenn man sich andere Flüchtlinge anschaut, die genau wie wir sind, die bekommen zwei Zimmer. Warum nicht wir? Ich finde das ziemlich ungerecht. Es gibt hier viele extra Zimmer, und alles, was wir wollen, ist ein weiteres Zimmer. Aber sie sagen uns immer wieder, wir sollen warten, und es ist ja nicht so, dass wir es uns mit Gewalt nehmen können.

Mein Mann und ich würden beide gerne arbeiten. Wir wollen auf eigenen Beinen stehen, so wie alle anderen auch. Im Moment warte ich darauf, dass meine Jüngste in die Kita kommt. Wir haben noch keinen Kitaplatz für sie bekommen, und ich habe gehört, dass es ziemlich schwierig ist, einen zu bekommen. Wir haben auch große Probleme, ihre Geburtsurkunde zu bekommen, obwohl sie in Deutschland geboren wurde. Sie hat jetzt einen Personalausweis, aber ich kann ihre Geburtsurkunde nicht bekommen. Ich bin zu jedem Amt gegangen und habe alles getan, um sie zu bekommen, aber ich warte immer noch. Wir brauchen diese Geburtsurkunde, um sie in einer Kita anzumelden, wenn sie alt genug ist, damit ich arbeiten kann.

Noch ein Problem ist es, dass einige der Leute in der Einwanderungsbehörde sehr unhöflich sind. Jedes Mal, wenn ich zu einem Termin gehe, muss ich mit einem meiner Kinder hingehen, denn die verstehen wenigstens ein bisschen Deutsch. Wenn ich alleine hingehe, wird mir niemand erklären, was los ist. Wenn es ein Problem gibt, sprechen sie nur Deutsch und erklären es mir nicht. Sie ignorieren mich einfach, und man kann ja nicht einfach ein Dokument unterschreiben, wenn man nicht versteht, worum es geht. Unser Verfahren verzögert sich also.

Die Ärzte sind hier genauso; sie können sehr unhöflich sein. Die Ärztin meiner Kinder spricht die ganze Zeit nur Deutsch, aber sie will es den Eltern nicht erklären. Angeblich kann sie Englisch, aber immer, wenn ich sie um eine Erklärung bitte, wirft sie einfach die Hände hoch und geht. Das macht überhaupt keinen Sinn. Was ist, wenn das Kind in Gefahr ist? Alle diese Leute wissen, dass ich kein Deutsch verstehe, also sollten sie in der Lage sein, mir mit jemand anderem zu helfen. Ich kann meine Kinder nicht ständig aus der Schule nehmen, um mir zu erklären, was bei meinen Terminen los ist. Ich würde gerne Deutsch lernen – und ich lerne immer noch – aber ich kann nicht allzu viel tun, weil ich im Moment so viel um die Ohren habe.

Ansonsten sind die meisten Menschen nett. Manchmal werden wir in Supermärkten oder Parks oder an anderen Orten ein bisschen diskriminiert. Vielleicht wollen die Kinder im Park mit anderen Kindern spielen, und jemand nimmt die anderen Kinder weg.

Insgesamt liebe ich Deutschland. Es ist ein gutes Land. Manche Leute sind nicht sehr freundlich, aber es sind nur ein oder zwei Leute, die es verderben, und das passiert in jedem Land. Kein Land ist perfekt. Das Schulsystem hier ist sehr gut, und es ist kostenlos. In Afrika muss man kämpfen, um eine Ausbildung zu bekommen, und oft kann man es sich nicht leisten, seine Kinder zur Schule zu schicken. Was mir an diesem Land gefällt, ist, dass die Bildung an erster Stelle steht. Und auch das Gesundheitssystem ist sehr gut. Wenn man sich erst einmal verständigen kann, und die Sprache spricht, ist es ein sehr gutes Land, in dem man bleiben kann.

Mir gefällt auch die Unterstützung der deutschen Regierung für Flüchtlinge. Das ist etwas, wofür ich sie lobe. Ich kann mich nicht beklagen. Es ist nicht viel, aber es ist nachhaltig. Wenn sie es eines Tages noch mehr verbessern wollen, wäre das gut, aber es ist jetzt besser als nichts.

Das einzige, was mich an Deutschland schockiert hat, ist das Essen. Hier gibt es Dinge, die ich zu Hause nie gegessen habe. Hier lieben sie Brot und Würste so sehr. Es gibt etwa hundert verschiedene Wurst- und Käsesorten, die alle unterschiedliche Namen haben, aber ich kann sie nicht einmal unterscheiden. Wir müssen uns daran gewöhnen, weil wir nichts anderes tun können. Man muss sich an die Leute anpassen, mit denen man zusammenlebt; wenn man freundliche Leute trifft, sollte man freundlich zu ihnen sein. Wenn sie mit dir reden wollen, dann können sie das machen. In diesem Heim ist niemand etwas Besonderes – wir benutzen alle dieselben Toiletten, derselbe Wäscheraum. Wir werden uns alle dort begegnen, also kümmern wir uns einfach um unseren eigenen Kram. Das ist alles, was wir tun können.

Auch mein drittes Kind macht gerade diese Erfahrung. Es ist ihr erstes Jahr in der Schule, also gewöhnt sie sich gerade erst daran. Sie sagt, dass einige der Kinder nicht so freundlich sind, so also ist sie die meiste Zeit alleine. Einige der Mädchen sind nett. Manchmal sehe ich, wie sie sich mit Freunden amüsiert, spielt und lacht, aber die meisten Kinder wollen nichts mit ihr zu tun haben. Ich weiß nicht, warum das so ist. Ich kann es nicht verstehen. Es kommt manchmal vor, dass sie nach Hause kommt und so unglücklich und enttäuscht ist. Die Lehrerin sagt, sie müsse Freundinnen machen, aber wenn sie auf diese Mädchen zugeht, wollen sie nicht mit ihr reden. Was soll sie denn tun?

Trotzdem haben meine Kinder hier ihren Frieden. Wenn ich sie in der Schule sehe, wenn ich sehe, dass sie gute Noten bekommen und besser Deutsch sprechen, macht mich das glücklich. Ich weiß, dass sie hier einfach Seelenfrieden haben, und das ist das Wichtigste. Ich würde gerne mit alten Menschen arbeiten. Ich möchte wirklich zur Schule gehen, um einen Abschluss zu machen, sodass ich qualifiziert bin, mit ihnen zu arbeiten. Das gefällt mir so sehr. Ich weiß, dass mein Mann gerne Auto fährt, denn er hat zu Hause viel gefahren. Er ist gut in allem, was mit Fahren zu tun hat, vor allem im Lkw-Fahren. Aber das Fahren in Cameroon ist ganz anders, also muss er noch einmal hier zur Schule gehen, um den Führerschein zu machen. Das ist hier ziemlich teuer, also kann er vielleicht, sobald er wieder einen Job hat, sparen und zur Fahrschule gehen.

Ich wünsche mir nur, dass die Leute uns wie Menschen behandeln. Wir sind alle Menschen. Es ist nur die Hautfarbe, die sich ändert. Wenn Sie mir die Hand abhacken, was wird dann aus dieser Hand kommen? Rotes Blut. Wenn Sie Ihre Hand abhacken, was kommt dann aus heraus? Es ist nicht grün oder schwarz, das Blut ist immer noch rot. Wir sind alle Menschen, also sollten wir auch so behandelt werden. Wenn jemand Hilfe braucht, helfen Sie ihm. Es kostet dich weder ein Bein noch einen Zahn, jemandem zu helfen. Helfen Sie ihm einfach mit einem reinen Herzen. Zeigen Sie Ihren Kindern einfach, dass sie freundlich sein sollten. Das kostet nichts.

Stacy, 18

Ich war 14, als wir Cameroon verlassen haben. Ich weiß noch, dass wir an einem Dienstag gegen 1:00 Uhr in den Zug gestiegen sind, um hierher zu kommen. Wir haben gleich nach der Ankunft im Lager mit der Schule angefangen, so dass ich schnell Deutsch gelernt habe. Die Lehrerin hat mit uns auf Deutsch gesprochen und die meisten Schüler haben sich mit uns auf Deutsch unterhalten, also war es einfach zu lernen. Ich habe auch einige Youtube-Videos angesehen, um mein Deutsch zu verbessern. In meinem ersten Jahr hier habe ich eine Gruppe von Freunden kennen gelernt, die mit mir in der Schule waren. In meiner jetzigen Schule gibt es nur sehr wenige Leute, die Englisch sprechen, also musste ich gut Deutsch lernen. Die Schule hier ist in Ordnung, und alle sind sehr nett, auch die Lehrer. Ich finde es gut, dass sich die Lehrer Zeit nehmen, um alles zu erklären und sicherzustellen, dass jeder alles versteht, bevor sie Hausaufgaben aufgeben.

Ich habe das Gefühl, dass ich mich gut an das Leben hier angepasst habe. Seit ich hier bin, habe ich viel Deutsch gelernt, aber auch viel über Freundschaft gelernt. Ich habe gelernt, dass jemand sagen kann, er sei dein Freund, und dann hinter deinem Rücken über dich reden kann. Vor allem in meiner Klasse habe ich gesehen, wie eine Gruppe von Mädchen sich Freundinnen nennen, aber dann gleichzeitig über einander so reden: “Oh, sieh sie dir an, sieh dir an, wie sie sich anzieht.” In einem Moment sagt ein Mädchen: “Das ist meine beste Freundin”, und im nächsten Moment redet sie hinter ihrem Rücken. Das macht einfach keinen Sinn. Ich habe also gelernt, dass man hier in Deutschland meistens auf sich allein gestellt ist, dass man seinen eigenen Weg gehen muss. Es ist gut, eine gute Freundin zu haben, das reicht. Man braucht keine Gruppe von Freunden. Das ist es, was ich gelernt habe.

Ich bin jetzt kurz vor meinem Highschool Schulabschluss. Nach meinem Abschluss möchte ich eine Ausbildung als Krankenschwester machen, also bewerbe ich mich gerade bei einigen. Ich habe mich bisher nur bei zwei beworben, aber mein Ziel ist es, mich bei 10 oder mehr zu bewerben, damit ich viele Möglichkeiten habe. Ich habe hier gerade ein Praktikum absolviert, das ich für meine Schule machen musste. Ich habe einen Praktikumsplatz in einem Krankenhaus bekommen, weil die Frau hier im Lager dort angerufen hat, und gefragt, ob es noch freie Plätze für mich gibt. Ich habe mich beworben und dort einen Praktikumsplatz bekommen, was ich eigentlich wollte. Aber ich mochte es nicht, weil ich mit alten Menschen arbeiten musste, und das war ein bisschen traumatisierend. Es war nur für zwei Wochen, und in der zweiten Woche war es ganz okay, weil ich mich daran gewöhnt hatte. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass ich mit alten Menschen arbeiten würde. Ich wollte mit Kindern arbeiten, weil ich Kinderärztin werden möchte, wenn ich älter bin. Ich wollte also unbedingt Erfahrungen mit Kindern sammeln, aber die einzige Stelle, die sie frei hatten, war die mit alten Menschen. Am Ende war es ganz okay. Jetzt werde ich erst einmal eine Ausbildung als Krankenschwester machen, um zu sehen, ob es mir gefällt, und dann kann ich mich vielleicht für ein Studium bewerben, um eine Ärztin zu werden. Ich habe gehört, dass das wirklich schwer ist, und ich will mir nicht zu viel Stress machen.

Ich kann mich über unser Leben hier nicht beklagen. Zumindest haben wir eine Unterkunft. Wir haben Frieden, wir haben die Freiheit zu tun, was wir wollen. In Deutschland kann man mit 16 oder 17 Jahren machen, was man will, also gibt es hier diese Freiheit. Ich bin eigentlich froh, dass wir hier in Deutschland sind. Ich würde aber gerne von dem Lager ausziehen. Ich möchte neue Leute kennenlernen, Leute in meinem Alter. Vielleicht irgendwo nach Berlin oder Köln oder Potsdam umziehen. Irgendwo, wo es nicht so ruhig ist wie in Luckenwalde, und wo es mehr Leute gibt, die in meinem Alter sind. Mein Traum war immer, nach Großbritannien oder in die USA zu gehen, um dort zu studieren. Ich habe mir nie vorgestellt, hier in Deutschland zu leben, aber gefällt es mir bisher gut.  Jetzt möchte ich erst ein bisschen Geld verdienen, und dann kann ich sehen, wie es danach weitergeht. Ich möchte mein Studium fortsetzen und eines Tages eine erfolgreichere Ärztin werden, damit ich meinen Eltern helfen kann.

Was ich an die Deutschen sagen möchte, ist, dass jeder alle Menschen gleich behandeln sollte. Egal, welche Hautfarbe oder Religion. Denken Sie daran: Alles rächt sich irgendwann. Wenn du mich einmal schlecht behandelst, wirst du als Nächstes in mein Büro kommen und mich um einen Job oder etwas Ähnliches bitten. Man sollte also alle Menschen gleich behandeln. Wir sind alle gleich.

Tom, 11

Ich war erst 6 Jahre alt, als wir Cameroon verlassen haben, aber ich erinnere mich noch an alles über unser Leben dort. Mir gefällt mein Leben in Deutschland besser. Ich mag meine Schule. Meine Lehrer erklären mir alles, und meine Freunde helfen mir, wenn ich etwas nicht verstehe. Aber jetzt haben sie die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt, so dass eine Gruppe eine Woche in die Schule geht und die andere Gruppe zu Hause bleibt und Hausaufgaben macht. Sie geben uns jetzt viele Hausaufgaben, vor allem, wenn man in Quarantäne muss. Aber ich kann mich nicht beklagen. Die Schule ist in Ordnung für mich, und ich bin gut. Wenn ich groß bin, will ich Wissenschaftler werden. Hier sind auch alle sehr nett. Einige meiner Freunde sind neidisch, weil ich Englisch kann. Ich weiß nicht, warum. Aber einige von ihnen sind einfach nett. Sie setzen sich für mich ein, wenn ich allein bin oder so. Es ist wichtig, freundlich zu anderen zu sein, auch wenn sie nicht aus deinem Land sind. Wenn jemand deine Hilfe braucht, gebe ihn einfach Hilfe.

 

 

 

 

 

 

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