Laila Keeling & Anjali Zyla
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Ich wurde in Homs, Syrien, zu einer kleinen Familie geboren—es gab nur mich und meine beiden Schwestern. Ich ging dort zur Schule und machte mein Abitur. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Krieg in Syrien begonnen und fast alles in meiner Heimatstadt war zerstört. Ich zog nach Hama, einer Stadt in der Nähe, um an einer privaten Universität zu studieren, während der Rest meiner Familie in Homs blieb. Als ich jünger war, wollte ich Schauspieler werden, aber es war schwierig, an den Theaterschulen in Syrien angenommen zu werden, da die Aufnahmeprozesse während des Krieges sehr korrupt sein konnten. Also beschloss ich, statt Theater Architektur zu studieren, weil es mir Spaß macht, etwas aus dem Nichts zu entwickeln und mein Werk vor mir zu sehen. Ich wollte schon immer etwas Avantgardistisches kreieren—etwas, das aus der Reihe tanzt.

Als ich in 2017 mein Studium abgeschlossen hatte, versuchte ich einen Job in Syrien zu finden, denn eigentlich gefiel es mir dort, wo ich vorher lebte. Aber es war zu schwierig, Arbeit zu finden oder auch nur irgendeine Ausbildung im Bereich Architektur zu machen, weil während des Krieges alles zerstört wurde. Also suchte ich nach einem Stipendium, um in Europa zu studieren, obwohl es als Syrer sehr schwierig ist, ein Studienvisum zu bekommen.

Ankunft in Deutschland

Nach vielen Bewerbungen und Prüfungen, schaffte ich es, ein Visum zu bekommen um in Budapest Architektur zu studieren. Im Jahr 2019 kam ich in Ungarn an und begann mein Studium. Am Anfang hatte ich Heimweh und vermisste meine Familie, denn es ist sehr schwer, in einer anderen Kultur einen Neuanfang zu machen. Aber nach sechs Monaten habe ich mich in Budapest verliebt, weil ich Freunde an der internationalen Schule hatte und es nicht teuer war. Man kann dort eine Menge Geld verdienen und ein warmes Schwimmbad oder ein türkisches Bad genießen. Leider begann die Pandemie nur ein Jahr nach meiner Ankunft in Budapest. Ich habe meinen Job im Restaurant verloren, und konnte mir den Aufenthalt in Budapest nicht mehr leisten. Ich hatte einen Freund hier in Deutschland mit dem ich zusammen an der Universität studiert hatte, also rief ich ihn an und fragte ihn, ob ich eine Weile bei ihm bleiben könnte, während ich nach Arbeit suchte. Er stimmte zu und sagte mir, dass ich für zwei Monate bei ihm wohnen konnte. Ich freute mich auf die Reise nach Berlin, weil ich viel Gutes über die Stadt gehört hatte, aber als ich Budapest verließ, hatte ich ein ungutes Gefühl. Als sich die Türen des Zuges am Hauptbahnhof öffneten, dachte ich: Oh mein Gott, das ist nicht Berlin. Ich zog bei meinem Freund ein, aber nach nur einer Woche sagte er mir, ich würde mir eine andere Unterkunft suchen müssen. Ich blieb noch eine Woche bei einem anderen Freund, aber ich hatte das Gefühl, dass keiner Zeit für mich hatte, und ich wollte nicht noch eine Freundschaft verlieren, indem ich dort wohnte. Da alle Geschäfte wegen der Pandemie geschlossen waren und ich hier keine Arbeit finden konnte, beschloss ich, Asyl zu beantragen.

Asyl beantragen

Am 14. Juli 2020 bin ich zu einer Organisation in Berlin gegangen, bei der man sein Asylverfahren beginnen kann. Die Mitarbeiter dort fragten nicht, warum ich Asyl beantragte, sondern verlangten nur meinen Reisepass und meine persönlichen Daten. Dann sagten sie mir, dass ich in einem bestimmten Gebäude wohnen müsste und verschiedene Gesundheitstests und Impfungen bekommen müsste, während ich warte, um zu erfahren, in welchem Flüchtlingslager ich untergebracht werden würde. Einigen wurde gesagt, sie sollten in Berlin bleiben, andere in München. Ich hatte nicht so viel Glück, denn mir wurde gesagt, ich müsste nach Eisenhüttenstadt gehen; einer Stadt in der Nähe der polnischen Grenze. Ich sammelte mein Gepäck aus der Wohnung meines Freundes, habe gegessen und geduscht. Ich stieg um 19:00 Uhr in den Zug und kam um 21:00 Uhr in Eisenhüttenstadt an. Der letzte Bus vom Bahnhof zum Lager war um 20:45 Uhr. Es war dunkel, und es war niemand zu sehen. Ich habe versucht, einen Uber oder ein Taxi zu finden, aber es gab nichts in meiner Nähe. Ich dachte: Oh mein Gott. Was soll ich nur tun? Nach 45 Minuten sah ich ein Taxi. Ich pfiff ihm zu, und er ist zu mir gekommen, aber er sprach kein Englisch. Ich versuchte, mit meinem Handy zu übersetzen, aber die Verbindung war in dieser Gegend zu schlecht. Er sagte: “Camp! Camp!”, und ich sagte: “Ja, Camp!” So konnte ich mit dem Taxi zum Lager fahren, aber diese Gegend ist sehr teuer, also musste ich viel Geld für das Taxi bezahlen.

Leben in Flüchtlingslagern

Eisenhüttenstadt

Als ich endlich am Lager in Eisenhüttenstadt ankam, klingelte ich an der Tür. Ich sagte dem Personal: “Das sind meine Unterlagen von der Regierung. Ich möchte einen Asylantrag stellen.” Die Frau im Lager sagte: “Okay, aber der Sicherheitsdienst ist nicht da, also müssen Sie bis zum Morgen warten. Wir werden Sie für die Nacht in einem Zimmer unterbringen. Warten Sie kurz hier.” Nach 30 Minuten begann sie, mich etwas über meine Bewerbung zu fragen. Ich erklärte ihr, dass ich zu müde war, um Fragen zu beantworten, und dass ich nur noch duschen und schlafen wollte. Deshalb brachte sie mich in ein Einzelzimmer und ich konnte endlich schlafen. Als ich morgens aufwachte, hatte ich Hunger und wollte etwas essen, aber ich hatte nichts dabei. Also habe ich versucht, zum Supermarkt zu gehen, aber die Frau sagte mir, dass ich in Quarantäne sei und mein Zimmer nicht verlassen durfte. Ich musste auf mein Essen im Zimmer warten, und es schmeckte furchtbar. Nach drei Tagen musste ich einen Corona-Test machen und konnte dann ins Hauptgebäude einziehen.

Dort habe ich mein Asylverfahren begonnen, indem ich einen Ausweis für Asylbewerber bekam, mit dem ich ausschließlich in Brandenburg und Berlin reisen durfte. Danach musste ich in meinem Zimmer warten, bis ich Briefe von der Regierung bekam, in denen der Termin für meine Asylanhörung festgelegt wurde. Ich blieb in Eisenhüttenstadt von Mitte Juli bis Ende August, als ich meinen Anhörungstermin hatte und nach Wünsdorf verlegt wurde.

Wünsdorf

Ich musste in Wünsdorf warten, bis die Regierung eine Entscheidung über meinen Antrag getroffen hatte. Diese Entscheidung hätte lauten können, dass der Antrag abgelehnt wurde und ich Deutschland in 15 Tagen verlassen müsste. In der ersten Woche in Wünsdorf passierte nichts. Wünsdorf war sauberer als Eisenhüttenstadt, aber es war sehr schwierig, mit der Leiterin dort in Kontakt zu kommen. Ich habe ihr gesagt, dass ich Englisch sprechen konnte und ihr bei Übersetzungen helfen konnte. Ich habe mit ihr zusammengearbeitet, aber es war keine richtige Arbeit. Ich bekam nur 1 Euro pro Stunde, aber ich hatte ja sonst nichts zu tun in dieser Zeit. Ich durfte das Lager nicht länger als 48 Stunden verlassen, sonst würde ich wieder in Quarantäne gesteckt werden, und ich wollte nicht dort bleiben, ohne etwas zu tun. Also fing ich an, mit den anderen Übersetzern und dem Wachpersonal in der Mensa zu arbeiten. Ich habe dabei geholfen, die Schlange zu organisieren oder Essen für hilfsbedürftige Menschen wie Kinder oder alte Menschen auszugeben. Ich war wie ein Freiwilliger mit einem kleinen Gehalt.

Ich konnte ein Einzelzimmer in Wünsdorf bekommen, weil ich auch in Eisenhüttenstadt als Übersetzer für das Rote Kreuz gearbeitet hatte. Ich sagte der Leiterin von Eisenhüttenstadt bei meiner Abreise, dass ich gerne ein eigenes Zimmer hätte, und sie hat dann in Wünsdorf angerufen, um mir ein Einzelzimmer zu besorgen. Irgendwann hat der Mann, der für die Organisation der Aktivitäten im Lager zuständig war, zu mir gesagt: “Yaqout, ich möchte ein Picknick machen oder wir können zu einem Museum gehen in Berlin. Willst du mit mir gehen?” Ich sagte ihm, dass ich gerne mitkommen würde, und wir organisierten eine Gruppe, die gemeinsam zum Museum ging. Als ich danach wieder in meinem Zimmer war, öffnete ich das Fenster und schlief ein. Mitten in der Nacht habe ich mich im Schlaf umgedreht und war schockiert, als ich feststellte, dass jemand durch das Fenster in meinem Zimmer eingebrochen war, mein Geld gestohlen hatte und auf meinem Bett stand. Ich fing an zu schreien und er rannte weg. Ich versuchte, ihm zu folgen, aber er war sehr schnell. Ich habe sofort den Wachdienst informiert, aber niemand hat die Polizei angerufen. Ich durfte die Polizei nicht selbst anrufen, weil ich auf den Sozialarbeiter warten musste. Also sprach ich am folgenden Tag mit dem Sozialarbeiter. Er sagte mir, dass er in 30 Minuten mich in meinem Zimmer treffen würde, aber es kam niemand. Ich habe noch einmal mit ihm gesprochen, und er sagte mir, dass wir die Polizei nur per E-Mail informieren können und ich auf den Termin bei der Polizei warten müsste. Aber ich habe die Person nur von hinten gesehen, und sein Gesicht habe ich nicht erkannt, weil es zu dunkel war. Deshalb passierte nichts, und mein Geld war weg. Es war eine furchtbare Zeit. Meine Depressionen verschlimmerten sich, und ich bekam Alpträume, also begann ich, den Psychologen im Lager zu besuchen.

Jede Woche habe ich mir gesagt: Okay, du bist stark. Du kannst das schaffen. Du brauchst nur Zeit, dann wird alles gut. Aber Wünsdorf war ein sehr gefährlicher Ort. Es gab dort viele verschiedene Leute und eine Menge Drogen, Alkohol und Streit. Wir lebten alle im Sturm, und wir konnten nur versuchen, uns selbst zu retten und den Sturm zu überleben. Jede Woche sagte ich: “Okay, nächste Woche werde ich versetzt. Nächste Woche werde ich versetzt.” Aber weil es während der Corona war, blieb ich dort vier Monate lang.

Wandlitz

Anfang Dezember wurde ich endlich von Wünsdorf nach Wandlitz versetzt. Wandlitz war zwar eine schöne Gegend, aber das Wohnheim war sehr alt. Die Toilette war kaputt und das Zimmer war schmutzig. Es war schwer, im Zimmer irgendetwas zu finden, das funktionierte. Ich habe sogar versucht, ein Hotel für diese Nacht zu finden, aber es war zu teuer und es war schon spät am Abend. Am nächsten Tag habe ich mit meinen beiden Mitbewohnern alles geputzt, aber es war immer noch sehr schmutzig. Gleich am ersten Tag in Wandlitz habe ich angefangen, ein WG-Zimmer oder eine Wohnung zu suchen.

Im März erhielt ich einen Brief vom BAMF, in dem stand, dass sie mich zwar anerkennen, aber nicht als Asylbewerber. Sie würden mich zwar annehmen, aber nur für jeweils ein Jahr, und ich müsste meinen Aufenthalt jedes Jahr verlängern. Ich musste einen Anwalt bezahlen, um Widerspruch einzulegen, und ich warte immer noch auf die Entscheidung, weil das Prozess in Deutschland sehr lange dauert.

Im Mai tauchte im Internet ein Angebot für ein Zimmer in einem Dorf fünf Minuten von Wandlitz entfernt auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits bei vielen anderen Wohnungen beworben. Dieses Zimmer sah gut aus, aber ich dachte mir, dass der Vermieter mich nicht nehmen würde. Trotzdem schickte ich ihm die Bewerbung und schaltete mein Handy aus. Nach 15 Minuten hatte ich eine Nachricht. Er fragte mich nach meinem Pass und meinem Zertifikat, warum ich kein Deutsch spreche, was ich in der Zukunft machen möchte usw. Nachdem ich geantwortet hatte, sagte er mir, ich sollte ihm Zeit zum Nachdenken geben. Das lag wahrscheinlich daran, dass er wusste, dass ich aus einem Flüchtlingslager kam und dass es eine gefährliche Gemeinschaft war. Nicht alle Bewohner des Lagers waren gefährlich, aber wenn es eine schlechte Person gab, konnte das einen schlechten Eindruck von dem Lager hinterlassen, der sich auf alle Bewohner auswirkte. Nach einem Monat des Wartens habe ich ihn gebeten, mir mitzuteilen, ob er mir das Zimmer überlassen wollte, da ich meinem Lager eine 14-tägige Frist geben musste. Nach 10 Tagen schickte er mir den Vertrag per E-Mail.

Niella

Ich wohne jetzt in dieser Wohnung. Das Zimmer ist sehr schön, und der Mann ist ein guter Mensch. Aber in dem kleinen Dorf gibt es nur ein Altersheim und ein Krankenhaus, deshalb ist es sehr selten, dass man andere junge Leute trifft. Am Anfang habe ich mir gesagt, dass es in Ordnung ist, weil es immer noch ein Fortschritt gegenüber dem Wohnheim in Wandlitz ist. Aber in Wandlitz hatten wir wenigstens einen Bahnhof. In diesem Dorf haben wir nur eine Bushaltestelle, und der letzte Bus fährt um 20:30. Also hört mein Leben um 20:30 auf. Um 17 Uhr ist kein Mensch mehr auf der Straße. Als ich in Niella ankam, habe ich mir gesagt, dass es in Ordnung ist, weil es nur eine vorübergehende Wohnsituation ist. Trotzdem verschlimmerte sich am Anfang meiner Zeit dort meine Depression.

Außerdem war es schwierig, jemanden zu finden, der mir helfen konnte, und ich musste alles selbst herausfinden. Selbst wenn ich andere Leute fragte, wussten sie nichts oder wollten nicht helfen. Also hatte ich nur mein Handy, meinen Laptop und mein Englisch. Ich begann zu recherchieren und suchte nach einer deutschen Schule. Ich kaufte mein Bett, meine Matratze, meinen Schreibtisch, einfach alles. Ich begann, nach irgendeiner Art von Arbeit zu suchen. Das war sehr schwierig, denn alle Unternehmen in Berlin oder Brandenburg sagten mir, meine Voraussetzungen seien perfekt, aber ich müsse Deutsch sprechen, und die Sprachschule die ich gefunden hatte, fing erst im Oktober an.

In den stressigen Monaten, in denen ich zwischen den Lagern hin- und hergezogen bin, hatte ich sehr viel Gewicht zugenommen. Als ich nach Niella zog, versuchte ich, durch Sport abzunehmen, aber ich habe eine Klinik besucht und dort wurde mir gesagt, dass ich eine Magenschlauchoperation brauche. Die Klinik sagte mir, dass ich diese Operation in den nächsten sechs Monaten durchführen könne, da meine Krankenkasse alles versichern würde. Ich sagte dem Arzt, dass ich die Operation in der darauf folgenden Woche durchführen lassen wollte, weil meine Deutschschule bald anfangen würde. Ich war sehr motiviert, Gewicht zu verlieren, denn das zusätzliche Gewicht war schlecht für mich. Ich konnte keinen Sport machen und nichts tun, was mir Spaß macht. Nach der Operation war ich zwei Tage im Krankenhaus und sagte dem Arzt, dass ich es nicht für nötig hielt, länger zu bleiben, und dass ich nach Hause gehen wollte, um mich vor dem Schulbeginn auszuruhen. Der erste Tag zurück in der Wohnung war in Ordnung, aber der zweite Tag war schwieriger. Ich konnte mir kaum etwas zu essen machen, weil ich so müde war und mir niemand helfen konnte. Ich fing an, ein wenig zu essen, aber ich konnte nur eine Suppe essen.

Ich hatte schon vor der Operation Depressionen, aber diese Situation hat sie noch viel schlimmer gemacht. Ich habe jeden Tag einen Psychologen besucht, der mir sehr geholfen hat. Ich versuchte, in Syrien einen Ernährungsberater zu finden, denn die in Deutschland waren zu teuer und wurden nicht bei der Versicherung bezahlt. Außerdem mag ich die deutsche Küche nicht, also wusste ich nie was ich essen sollte und fühlte mich immer müde. Als meine deutsche Schule anfing, war ich in jeder Unterrichtsstunde müde. Mein Arzt sagte mir, ich sollte zu Hause bleiben, bis ich fertig war mit der Erholung, also konnte ich nie meinen Kurs beenden.

Diese Zeit der Erholung war sehr, sehr schwierig. Wenn mich jetzt jemanden fragen würde, ob ich diese Operation empfehle, würde ich ihm sagen, dass er sie nicht machen sollte, wenn er allein ist. Man braucht jemanden, der einen unterstützt und füttern kann. Bei meiner ersten Untersuchung nach der Operation sagte ich meinem Arzt, dass ich nicht glaube, dass ich stark genug bin, um die Erholung durchzuführen.

Jetzt, wo ich mich erholt habe, bereue ich es nicht mehr und ich glaube, es war ein guter Schritt für mich. Ich muss immer noch meine Gedanken neu ordnen, um mit dem Essen aufzuhören, denn jedes Mal, wenn ich mich gestresst fühle, gehe ich zum Kühlschrank. Ich arbeite jetzt daran, die Kontrolle wiederzuerlangen und meinen Lebensstil zu ändern. Ich mache Sport, nehme Vitamine und versuche, andere Wege zu finden, um mich zu entspannen. Das alles hat mir schon ein wenig geholfen.

Leben nach den Flüchtlingslagern

Sprache

Bei der Arbeitssuche ist die erste Voraussetzung, Deutsch zu sprechen, und das ist nicht einfach. Als ich zum Jobcenter in Niella ging, sagte mir die Frau, die dort arbeitete: “Yaqout, du musst Deutsch lernen. Wenn du Deutsch lernst, verspreche ich dir, dass du schnell etwas finden wirst. Aber zuerst musst du Deutsch sprechen.” Okay, ich wusste, dass ich Deutsch lernen musste, aber ich hatte in dieser Zeit viel zu tun. Ich hatte meine Operation, ich suchte eine Wohnung, ich hatte nicht so viel Zeit. Jetzt habe ich meine Wohnung, meine Operation ist beendet, und ich habe einen Job. Jetzt habe ich Zeit und ich muss Deutsch lernen. Die meisten Flüchtlinge hier versuchen nicht, die Sprache zu lernen, sie versuchen nicht, einen Job zu bekommen, sie bleiben einfach zu Hause. Das ist nicht richtig, das ist nicht ein richtiges Leben.

Ich habe versucht, Schulen zu finden, an denen ich mein Studium auf Englisch abschließen kann, aber es gibt nur eine in Stuttgart, also ist es nicht möglich—ich muss Deutsch lernen. Früher wollte ich wirklich Englisch lernen, aber dieses Gefühl habe ich hier bei Deutsch nicht. Das ist falsch, das ist nicht gut, aber ich habe nicht das gleiche Verlangen. Vielleicht liegt es daran, dass ich schlechte Erfahrungen in Deutschland hatte, so dass ich die Sprache nicht lernen will. Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist es einfach zu schwierig. Versicherungsnummer—das ist ein Wort, es bedeutet eine “health insurance number”. Ein Wort! Es reicht nicht, die Wörter einfach zu lernen, man muss auch die verschiedenen Artikel für jedes Wort kennen… das ist sehr, sehr schwer.

Ich habe hier an einem Sprachkurs schon teilgenommen, aber der war nicht effektiv, weil der Lehrer nur das Buch aufgeschlagen und vorgelesen hat. So lernt man keine Sprache; man muss mit anderen in Kontakt seien, mit Menschen sprechen. Um diese Kurse zu verbessern, sollten sie mindestens einmal pro Woche ein Treffen veranstalten, bei dem wir das Sprechen üben können. Sogar in Englisch reicht es nicht aus, die Grammatik zu lernen, man muss auch das Sprechen üben. In meinem Kurs hat uns der Lehrer nur die Regeln und Grammatik erklärt, und uns Übungen für zu Hause mitgegeben. Das ist einfach nicht genug. Wenn wir die Sprache wirklich lernen wollen, müssen die Kurse auf Konversation ausgerichtet sein.

Einen Sprachkurs zu finden, ist eine Herausforderung. Niemand hilft einem bei der Suche nach einem Kurs, man muss selbst recherchieren. Man muss das Internet nutzen, Kurse finden und deren Bewertungen lesen, den Preis herausfinden. Das Jobcenter zahlt die Kosten für den Kurs, aber man muss ihn selbst finden. Ich beginne bald einen neuen Kurs in Berlin an der beliebtesten Deutschschule, und ich kann nur hoffen, dass er effektiver sein wird als mein vorheriger Kurs.

Arbeit

Einen Job in Deutschland würde viel für mich verändern. Es würde mich zu einem anderen Menschen machen, mit einem Ziel. Deshalb habe ich jeden Tag mit der Arbeitssuche verbracht. Hier gibt es niemanden, der einem bei der Arbeitssuche hilft; das muss man selbst tun. In dem Flüchtlingslager, wo ich wohnte, war der Sozialarbeiter nicht sehr effektiv. In einigen anderen Lagern sind die Sozialarbeiter mehr hilfreich, aber sie sagen einem nur, auf welchen Websiten man suchen soll. Sie werden keinen Job für einen finden.

Das Internet war das beste Instrument bei der Arbeitssuche. Jeden Tag war ich auf Linkedin, Indeed und anderen deutschen Arbeitsportalen auf der Suche nach Möglichkeiten. Während meiner Erholung von der Magenschlauchoperation habe ich jeden Tag 3 Stunden an meinem Laptop verbracht und nach Arbeit gesucht, weil ich unbedingt einen Job finden wollte. Ich möchte Deutsch lernen. Es ist schwierig, ohne Arbeit und Kontakt mit anderen Menschen einen Weg aus meiner Depression zu finden.

Vor einem Monat schrieb ein Mann in der Facebook-Gruppe für arabische Ingenieure, dass sein Unternehmen einen Architekten sucht, der Deutsch spricht. Ich schrieb ihm eine Nachricht und stellte mich vor, sagte aber, dass ich kein Deutsch spreche. Er sagte mir: “Tut mir leid, aber du musst Deutsch sprechen.” Zwei oder drei Monate später stellte er die Anzeige wieder auf Facebook ein, und ich schrieb ihm erneut eine Nachricht. Nach zwei Wochen meldete er sich bei mir und sagte, dass es für den Chef in Ordnung sei, wenn ich anfangs kein Deutsch spreche, aber ich müsse zu einem Bewerbungsgespräch nach Stuttgart kommen. Ich sagte ihm, dass ich die Arbeit und das Bewerbungsgespräch online erledigen könnte, dass es aber schwierig für mich wäre, nach Stuttgart zu kommen. Nach weiteren zwei Wochen sagte er, dass ich von zu Hause arbeiten könnte, aber ich müsste für ein paar Tage nach Stuttgart kommen, als Probezeit. Also reiste ich für eine 3-tägige Probezeit nach Stuttgart.

Als ich nach Niella zurückkehrte, schickte mir der Chef eine E-Mail mit dem Angebot eines 6-monatigen Minijobs, in dem ich meine Sprachkenntnisse verbessern sollte. Wenn mein Deutsch besser ist und ich mit den deutschen Kunden sprechen kann, könnte mein Vertrag in eine Vollzeitstelle umgewandelt werden. Ich habe dieses Angebot angenommen, aber ich warte darauf, dass sie mir alle Einzelheiten mitteilen, damit ich den Vertrag an das Jobcenter schicken kann. Ich warte also noch. Ich habe das Gefühl, dass dies ein wichtiger Schritt für mich ist, weil es eine neue Arbeitserfahrung sein wird, die meinen Lebenslauf unterstützt und es mir ermöglicht, mein Deutsch zu verbessern. Außerdem werde ich keine Zeit haben, deprimiert zu sein, wenn ich mich mit Arbeit ablenken kann. Die Arbeit wird mir helfen, all meine Probleme zu vergessen und etwas aus meinem Leben hier zu machen. Mit einem Job kann ich meiner Familie helfen, ich kann meiner Schwester in Syrien helfen. Wenn ich Arbeit habe, kann ich mir hier in Deutschland etwas aufbauen.

Soziales Leben

Eine der größten Herausforderungen beim Leben in Deutschland ist das soziale Leben. Die Menschen hier nehmen sich keine Zeit füreinander; sie besuchen sich selten in ihren Wohnungen. An den Wochentagen gehen sie nur zur Arbeit, und am Wochenende treffen sie sich vielleicht in einem Restaurant oder einer Bar. Die Ungarn waren geselliger, die Menschen aus dem Nahen Osten noch mehr. Hier in Deutschland scheint jeder nur für sich selbst zu sorgen. Ich bin ein sehr gefühlsbetonter und sozialer Mensch, deshalb war das sehr schwer für mich. Andere Flüchtlinge haben wenigstens ihre Familien bei sich, aber ich bin allein hierher gekommen, habe also niemanden.

Besonders jetzt, wo ich in Niella wohne, einem kleinen Dorf mit nur älteren Einwohnern, fühle ich mich sehr einsam. Ich habe einen Nachbarn, der ziemlich jung ist, vielleicht 35 oder 40 Jahre alt, und mit seiner Frau lebt. Ich habe versucht, sie auf einen Kaffee einzuladen, aber sie sagen immer, sie seien mit der Arbeit beschäftigt. Die einzige Kontakte, die ich mit den Menschen in meiner Gemeinde habe, sind einfache Grüße, wenn wir uns begegnen. Die meisten Nachbarn sprechen anfangs nur Deutsch mit mir, aber wenn ich sie anlächle und grüße, fangen sie langsam an, mich auf Englisch anzusprechen. Eine meiner Nachbarinnen sprach immer nur Deutsch mit mir, bis ich ihr anbot, ein schweres Paket die Treppe hochzutragen. Daraufhin bedankte sie sich auf Englisch und spricht seitdem Englisch mit mir.

Einige Flüchtlinge haben mir gesagt, dass sie sich in Deutschland nicht willkommen fühlen, dass die Deutschen sie nicht mögen. Ehrlich gesagt, habe ich nicht dieses Gefühl, aber ich denke, das liegt an wie ich mit den Deutschen bin. Wenn ich mit einem Lächeln auf die Leute zugehe und sie begrüße, reagieren sie auch so. Wenn ich kalt zu ihnen wäre, würden sie natürlich auch so reagieren.

Ich habe doch eine schlechte Erfahrung gehabt, und zwar mit einem Busfahrer in Eisenhüttenstadt. Ich hatte schon zweimal mit dem Bus gefahren, und beide Male hatte ich meine Fahrkarte beim Fahrer auf Englisch gekauft. Als ich jedoch zum dritten Mal nach einer Fahrkarte auf Englisch fragen wollte, sagte er plötzlich zu mir: “Nein, wir sprechen hier nur Deutsch, wir sprechen kein Englisch, okay?” Daraufhin antwortete ich: “But you understand what I am saying in English? Give me my ticket, please.” Das schockierte ihn. Von diesem Moment hielt er den Bus nie mehr für mich an, wenn er mich an der Bushaltestelle warten sah, und ich musste stattdessen die 45 Minuten zurück zum Flüchtlingslager laufen. In dieser Gegend wird oft gesagt, dass die Deutschen die Flüchtlinge nicht mögen. Trotz dieser einen Erfahrung fühle ich mich in Deutschland nicht unwillkommen. Viele andere Flüchtlinge beschweren sich über die Menschen hier, aber ich selbst habe bisher nicht viel Unhöflichkeit erlebt.

Integration

Wenn andere sich über die Unfreundlichkeit der Deutschen beschweren, denke ich mir: Sag mir, was du tust, damit die Deutschen dich mögen? Lernst du Deutsch? Versuchst du, einen Job zu finden? Dies ist Deutschland, dies ist ihr Land, nicht unseres. Wir leben zusammen, aber das ist Deutschland, also müssen wir uns an ihren Lebensstil anpassen—es sollte nicht an den Deutschen liegen, sich unserem Lebensstil anzupassen. Ich habe mich entschieden, hierher zu kommen, also muss ich jetzt lernen, wie die Deutschen zu leben. Wenn Deutsche nach Syrien kämen, müssten sie lernen, wie die Syrer zu leben. Das ist das Leben. Wenn ich Deutsch spreche, dann fühle ich mich als Teil der deutschen Gemeinschaft. Ich muss mich einfach am deutschen Lebensstil gewöhnen. Ich muss deutsch sein.

Die Zukunft

Pläne für die Zukunft

Ich denke nicht mehr gerne über die Zukunft nach. Früher habe ich das getan, aber meine Erfahrungen in Deutschland haben dazu geführt, dass ich nicht mehr so weit vorausdenken will. Ich kann nur noch in der Gegenwart leben und für den nächsten Monat oder so planen. Wenn ich in fünf Jahren immer noch in Deutschland wohne, dann ist das eben so, ich habe keine andere Wahl. Als ich in Syrien studierte, war ich so leidenschaftlich. Ich wollte meinen Abschluss machen und ein eigenes Büro eröffnen, ich wollte mich in Syrien beweisen. Ich hatte immer die Zukunft und meine Träume im Kopf. Jetzt, in Deutschland, habe ich diese Leidenschaft verloren, und das ist sehr schwer für mich.

Persönliche Veränderungen

Das Leben in Deutschland hat mich verändert. Es fällt mir schwer, die richtigen deutschen Worte zu finden, um zu erklären, wie Deutschland mich verändert hat, aber das arabische Wort, das mir einfällt, heißt übersetzt “herzlos”. Meine Erfahrungen in Deutschland haben mich herzlos gemacht. Ich erwarte nicht mehr, dass mir jemand hilft, selbst wenn ich ihm zuvor geholfen habe. Besonders von meinen Freunden habe ich gelernt, keine Unterstützung zu erwarten.

Unabhängig davon, ob sie mir helfen oder nicht, habe ich meine Leidenschaft, anderen zu helfen, nicht verloren. Als mich vor kurzem ein alter Bekannter aus Budapest nach Hilfe mit seinem Asylantrag gefragt hat, habe ich ihm alles erzählt. Ich habe ihm jeden Schritt des Verfahrens erklärt und wie er sich darauf vorbereiten können. Ich möchte sicherstellen, dass andere Flüchtlinge die Wahrheit über das Leben hier wissen, denn ich möchte nicht, dass sie die gleichen Erfahrungen haben, die ich hatte.

In Syrien denken die Menschen, dass Deutschland das Paradies ist, dass das Leben hier perfekt ist. Ich war einmal einer dieser Menschen. Ich habe nichts über die deutsche Kultur gelernt, bevor ich hierher kam, ich dachte einfach, es sei das Paradies. Aber das ist es nicht—es ist ein normaler Ort. Das Leben hier ist hart. Es gibt Heimweh, egal in welchem Land man ist, und kein Land ist perfekt. In den USA zum Beispiel kann man schnell Arbeit finden, weil es nicht so viele Regeln gibt wie in Deutschland. In Deutschland haben wir aber eine Krankenversicherung. Jedes Land hat Vor- und Nachteile, und wir müssen einfach zufrieden sein, mit wo wir sind. Ich versuche, diese Zufriedenheit zu spüren. Ich bin erst seit eineinhalb Jahren in Deutschland. Ich habe noch nicht lange genug hier gelebt, um zu entscheiden, ob das Leben hier gut ist oder nicht. Ich kann nur hoffen, dass das Leben in der Zukunft schöner sein wird.

Wenn die Menschen hier Erfolg haben wollen, müssen sie sich darauf vorbereiten, stark zu sein. Zuerst müssen sie wissen, was sie erwartet. Am wichtigsten ist es, mehr Flüchtlinge dazu zu bringen, ehrlich über ihre Erfahrungen zu sprechen, so wie ich es jetzt tue. Es gibt Aspekte in meinem Leben, über die ich noch nicht sprechen kann, empfindliche Themen. Ich möchte in der Zukunft offen über diese Themen sprechen, aber ich brauche Zeit. Ich möchte andere Menschen dazu inspirieren, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen, und vielleicht werde ich eines Tages auch dazu in der Lage sein.

One Reply to “Yaqout, Syrien”

  1. Antje Lüdde says:

    Ich arbeite schon ein paar Jahre in der Flüchtlingshilfe mit und versuche, mich um unsere Flüchtlinge zu kümmern. Mit einigen bin ich gut bekannt. Trotzdem fand ich Ihren Beitrag sehr interessant. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man zusammen lernt und Kaffee trinkt, oder ob man so ein Interwiew liest.
    Da erfährt man doch viel mehr über das “Innenleben” der Leute. Vielen Dank dafür und alles Gute für Ihre Zukunft!

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