Isabel Romijnders
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Dieses Interview wurde (in englischer Sprache) von Hans Blokland und Isabel Romijnders geführt und bearbeitet. 

Ich habe ein gutes Leben mit meiner Familie in Afghanistan, Herat, geführt. Ich studierte Informatik an der Universität Herat und meine Frau Literatur. Diese Universität hatte gute Beziehungen zur TU in Berlin. Meine Frau war Lehrerin an einer staatlichen Schule, und ich arbeitete im IT-Management einer deutschen Organisation. 

Die Organisation war in vier Provinzen Afghanistans tätig. Wir bildeten junge Menschen und Geflüchtete aus Pakistan und dem Iran in einem bestimmten handwerklichen Bereich aus. Sie konnten zum Beispiel das Tischlerhandwerk erlernen. Nach einer sechs-monatigen Ausbildung konnten sie anfangen zu arbeiten. Wir haben viele Kinder, vor allem Geflüchtete, ermutigt, dieses Programm bei unserer Organisation zu beginnen, damit sie ihren Lebensunterhalt mit einem guten Beruf verdienen können. 

Wir hatten gute Arbeit und ein gutes Haus und gründeten eine Familie. Aber dann kamen die Taliban in unsere Stadt. Zuerst schlossen sie alle Schulen, was meine Frau arbeitslos machte. Danach wurde die Situation immer schlimmer und wir waren in großer Gefahr. Da ich für eine deutsche Organisation arbeitete, lud die deutsche Regierung uns ein, nach Deutschland zu fliehen. Sie luden etwa 1300 Menschen aus der Organisation ein, zu kommen. Fast alle von uns sind jetzt in Deutschland. 

Wir sind in den Iran gegangen und vom Iran aus sind wir mit dem Flugzeug nach Deutschland gekommen. Im Januar 2022 sind wir mit unserer Familie hier angekommen. Als wir noch in Afghanistan waren, hatten wir eine andere Vorstellung von Deutschland. Man sagte uns, dass wir hier ein gutes Leben haben würden. Wir könnten anfangen zu arbeiten, Deutsch lernen, eine gute Wohnung bekommen. Man sagte uns, wir müssten nur ein paar Tage im Geflüchtetenlager bleiben. Aber wir blieben zwei Monate in dem Lager und mussten dann in ein anderes Lager wechseln. Wir hofften, dass wir nach dem Wechsel der Lager eine gute Wohnung bekommen würden. Wir hofften, dass wir endlich wieder ein neues Leben aufbauen könnten. Aber das war nicht der Fall. 

Im März 2022 mussten wir in dieses Lager umziehen. An dem Tag, an dem wir hier ankamen, bekamen wir ein Zimmer im dritten Stock. Alles war furchtbar schmutzig und zu klein für unsere vierköpfige Familie. Unser Sohn ist acht Monate alt und unsere Tochter zwei Jahre. Als meine Frau das Zimmer betrat, konnte sie zunächst nicht glauben, dass dies unser Zimmer war. Sie fing an zu weinen. „Das Leben in Afghanistan unter dem Taliban-Regime ist besser, warum hast du uns hierhergebracht?”, sagte sie. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Ich wollte das nicht für meine Familie, ich wollte nicht, dass meine Frau weint. Meine Frau sagte, sie wolle zurück nach Afghanistan. Ich ging zu der Sozialarbeiterin und fragte sie, wie wir nach Afghanistan zurückkehren könnten. Die Sozialarbeiterin fragte uns: „warum?“. Ich zeigte ihr das sehr schmutzige Zimmer mit den Fotos, die ich mit meinem Handy gemacht hatte: “Wir können in diesem Zimmer nicht leben, warum haben Sie uns diesen Ort gegeben? Wir hatten ein besseres Leben in Afghanistan”. Die Sozialarbeiterin versprach uns, dass wir nach ein oder zwei Wochen eine bessere Wohnung haben würden. Zwei Tage lang mussten wir das ganze Zimmer putzen. Ich rief meine Familie an, dass wir zurück nach Hause kommen wollten, aber sie sagten, das sei nicht möglich. „Es ist zu gefährlich“, sagten sie. Wir sind aus dem Land geflohen, also dürfen wir nicht nach Hause zurückkehren. 

Es sind jetzt 10 Monate, die wir in dieser Einzimmerwohnung gewohnt haben. Schon vor sechs Monaten habe ich angefangen, eine Wohnung zu suchen. Ich habe mich auf fast 200 Wohnungen beworben. Aber sie haben uns alle abgelehnt. Sie schieben es auf unsere Unterlagen, dass sie nicht in Ordnung sind, aber das stimmt nicht. Wir haben auch einen Anwalt, der uns bei der Wohnungssuche hilft und nachweist, dass unsere Unterlagen in Ordnung sind.   

Wie viele andere Geflüchtete auch, finden wir keine Wohnung. Besonders in diesem Bezirk ist das ein großes Problem. Die Beschaffung der Dokumente ist sehr schwierig. Viele unserer Freunde haben ihre Aufenthaltsgenehmigung nach einem Monat bekommen. Aber in Brandenburg dauert alles länger. Wir mussten vier Monate lang warten. Wir haben oft gehört, dass unser Visum abgelaufen sei und das Jobcenter uns kein Geld zahlen würde. Ich habe die Sozialarbeiter oft gebeten, uns zu helfen. Viele Male habe ich ihnen gesagt, dass wir nicht die Art von Menschen sind, für die sie uns halten. Wir sind keine Menschen, die unsere Zeit verschwenden. Wir versuchen, uns hier ein Leben aufzubauen, wir wollen unsere Zukunft wiederaufbauen und unsere Kinder zur Schule schicken. Wir haben uns für Deutschkurse angemeldet, weil wir lernen wollen, damit wir arbeiten können. „Bitte helft uns“, habe ich sie oft gebeten. 

Wir glauben, dass es eine gewisse Diskriminierung gibt. Geflüchtete, die nicht aus Afghanistan, sondern zum Beispiel aus der Ukraine kommen, können leichter eine Wohnung bekommen. Wir brauchen wirklich eine Wohnung für unsere Familie. Dies ist kein Ort, an dem wir unsere Familie großziehen können, wir haben nur ein Zimmer. Das Bad ist draußen und das Wasser ist oft kalt. Meine Kinder werden oft krank, wenn sie auf die Toilette gehen, weil es so kalt ist. Es gibt hier immer ein Problem mit der Waschmaschine oder der Küche. Wir verschwenden hier unsere Zeit damit, uns um diese grundlegenden Einrichtungen zu kümmern. Wir wollen vorankommen. 

Meine Frau kümmert sich um unsere Kinder und lernt selbst Deutsch, indem sie sich YouTube-Videos ansieht. Sie war Lehrerin, also weiß sie sehr gut, wie man lehrt und lernt. Sie wartet darauf, dass ihre Universitätsabschlussdokumente von der deutschen Regierung anerkannt werden. Wenn sie hier anerkannt werden, kann sie hier an einer Schule unterrichten. Aber im Moment unterrichtet sie unsere Kinder jeden Tag zwei Stunden lang Deutsch. Meine zweijährige Tochter geht nicht in den Kindergarten, aber mein Sohn geht in die Kita, die für Kinder unter zwei Jahren ist. Wir bereiten unsere Kinder auf ihre Zukunft hier vor. Wir machen ihnen Hoffnung und sagen ihnen, dass alles gut werden wird. Meine Kinder sehen die schlechten Dinge hier nicht. Sie lernen langsam Deutsch; sie geben sich große Mühe.   

Wir wollen zuerst eine Wohnung finden, eine sichere Umgebung, bevor wir unsere Tochter zur Schule schicken. Im Moment sind wir jeden Tag auf der Suche. Es sind schon neun Monate vergangen, aber wir sind nirgendwo angenommen worden. In der Zwischenzeit lernen wir Deutsch, weil wir denken und wissen, dass es wichtig ist.  

Als ich in Afghanistan studierte, war ich sehr daran interessiert, nach Deutschland zu kommen und hier meinen Masterabschluss oder meine Doktorarbeit zu machen. Zwei- oder dreimal habe ich mich um ein Stipendium beworben, aber ich wurde nicht angenommen. Es war mein Traum, in Deutschland zu studieren. Ich wollte meine IT-Kenntnisse Schritt für Schritt verbessern. Ich hoffe, dass ich in fünf Jahren hier einen Masterabschluss in IT-Management oder Cybersicherheit machen kann. Ich hoffe, ich kann ein guter Manager in einem IT-Unternehmen werden. 

Wir haben noch Freunde und Familie in Afghanistan. Einige von ihnen, die auch für eine europäische Organisation gearbeitet haben, versuchen, ein Visum zu bekommen. Aber es ist schwierig für sie. Die Situation in Afghanistan wird immer schlimmer, besonders für Frauen. Sie dürfen nicht mehr ohne ihren Mann oder Bruder aus dem Haus gehen. Sie können die Stadt nicht verlassen, oder sie sind arbeitslos und sitzen zu Hause. Die Wut der Menschen wächst. Die meisten Arbeitsplätze, die den Menschen Geld einbringen, wie Coffeeshops, Hochzeitsläden, Universitäten, sind alle geschlossen. Es gibt keine Möglichkeiten für die Menschen dort, Geld zu verdienen und zu leben. 

Wir hoffen, dass Afghanistan in zehn Jahren wieder ein besserer Ort sein wird. Früher gab es dort gute Institutionen, wie Universitäten und andere Organisationen. Ich weiß nicht, ob wir zurückgehen würden. Wir hatten uns in Afghanistan ein Leben aufgebaut, aber das ist jetzt alles zusammengebrochen. Wir haben alles verloren: unsere Arbeit, unser Zuhause, ein gutes Leben. Jetzt versuchen wir, in Deutschland neu anzufangen. Wenn wir nach Afghanistan zurückgehen würden, müssten wir wieder von vorne anfangen und das ist schwer. Afghanistan war unsere Heimat. Damals hatten wir mit anderen Problemen zu kämpfen: den Taliban, unserer Sicherheit und Freiheit. Hier in Deutschland stehen wir vor anderen Problemen. Hier im Lager sind wir sicher. Die anderen Menschen haben die gleichen Probleme wie wir. Aber es ist kein Ort, an dem man bleiben und eine Familie großziehen kann.  

 

Aus dem Englischen übersetzt von Kim Blokland 

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