Hans Blokland und Raíssa Silveira

Seit 2016 hat Social Science Works fast vierzig Reihen deliberativer Workshops mit Flüchtlingen und heimischen Bürgern durchgeführt. In unseren Workshops versuchen wir gemeinsam mit den Teilnehmern, vor allem durch das stellen von Fragen Diskussionen zu füttern, und ein Verständnis für die zentralen Werte einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu entwickeln: Was sind diese Werte, wie können sie verteidigt werden, wie hängen sie zusammen? Wie können sie als ein verflochtenes Muster von Werten und Einsichten für ein (soziales) Leben verstanden und begründet werden? Wir diskutieren unter anderem ethischen und politischen Pluralismus, Monismus, Demokratie, Freiheit (der Meinungsäußerung, Vereinigung und Religion), persönliche Autonomie, Toleranz, Menschenrechte, Identität, Diskriminierung, Rassismus, Männlichkeit, Weiblichkeit, Geschlechtergleichheit und Homosexualität (Eine Übersicht finden Sie hier).

Zu unseren deliberativen Workshops haben wir unter Anderem, “Wie deliberiert man fundamentale Werte? Bericht aus Brandenburg über unsere Ansätze, Herangehensweisen und Erfahrungen“; und, für unmäßigere Umstände, „Das Anfechten extremer Wahrheitsansprüche: wie man mit monistischen Denker über die offene pluralistische Gesellschaft deliberiert“, veröffentlicht. Wir hoffen auch, dass die Deliberation eine Rolle bei der Verhinderung von Radikalisierung spielen kann: „Radikalisierung Entgegenwirken: Was die Forschung von Deliberation und Radikalisierung uns lehrt“.

Neben 14 Workshop Reihen mit Flüchtlingen aus unter Anderem Afghanistan, Tschetschenien, Syrien, Iran, Irak, Nigeria, Ghana, Kamerun, Kenia und Eritrea, organisierten wir 22 Workshop Reihen mit Ehrenamtlichen und professionellen Sozialarbeitern, die die Integration von Flüchtlingen in die Deutsche Gesellschaft unterstützen. Wie in den anderen Workshops trafen wir uns im Durchschnitt für etwa fünfzehn Stunden mit zwölf Teilnehmern und diskutierten dieselben Themen, sowie darüber, wie diese mit einheimischen und kürzlich angekommenen Bürgern so besprochen werden können, dass Einsicht, Verständnis und Konsens erzielt werden kann.

Bislang haben wir Workshops mit deutschen Bürgern in Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg organisiert. Die Workshops mit Flüchtlingen fanden alle in Brandenburg statt. Insgesamt haben wir uns intensiv mit etwa 250 heimischen Bürgern und 200 Flüchtlingen unterhalten.

Die allgemeinen Ziele von Social Science Works bestehen darin, neue Wege einer sinnvollen Bürgerbeteiligung zu entwickeln, sowie neue Strategien zur Stärkung der bürgerlichen und politischen Kompetenzen zu durchdenken. Wir versuchen, die Integration und die demokratische Partizipation zu fördern und dem Populismus sowie Radikalisierungsprozessen entgegenzuwirken. Um dies voranzutreiben, brauchen wir Erkenntnisse darüber wie Menschen an Deliberationen teilnehmen können, die Einsicht, gegenseitiges Verständnis und Konsens bringen. Daher erforschen wir die Wirkungen von deliberativen Workshops, die Motivation der Bürger zur Teilnahme, sowie die politischen Werte von Neuankömmlingen und Heimischen Bürgern. Wir sammeln große Datenmengen (durch Umfragen, partizipative Beobachtungen und Interviews), die zu unserem Wissen über Deliberation, Demokratisierung und Integration beitragen können.

In der Zukunft werden wir eine Reihe von Aufsätzen zu unseren empirischen Beobachtungen und Analysen veröffentlichen. Neben eher ethnographischen Beschreibungen der Workshops werden auch statistische Analysen der Umfragen durchgeführt, die viele unserer Teilnehmer ausgefüllt haben. Dabei wurden die Teilnehmenden nach ihren Überzeugungen und Wertvorstellungen zu den Themen gefragt, die wir normalerweise in unseren Workshops diskutieren, sowie über ihre Erfahrungen in den Workshops.

In diesem ersten Artikel geben wir einen Überblick über die Ergebnisse der Feedback-Formulare, die die Teilnehmer am Ende der Workshops ausfüllen.[1] Zuerst stellen wir aber einige Überlegungen zur Deliberationsforschung vor.

Forschung zur Deliberation: einige Fallstricke.

In Bezug auf deliberative Veranstaltungen und Workshops gibt es viele Fragen (die jedoch nicht immer leicht zu beantworten sind). Es kann z.B. zu folgenden Themen geforscht werden: optimale institutionelle, kulturelle und persönliche Bedingungen für die Deliberation (von Parteiensystemen bis zu Kulturen und Persönlichkeitstypen); den Deliberationsprozess selbst (unter der Annahme, dass die Deliberation eine unabhängige Wirkung hat, können wir untersuchen, was tatsächlich geschieht, wenn die Leute deliberieren und ob wir dies durch eine andere Weise von Deliberation beeinflussen können); und die Ergebnisse (cf. Bächtiger und Wyss 2013). Diese Ergebnisse können vielfältig sein: Die Präferenzen können sich ändern; die Präferenzen können besser informiert und kohärenter werden; Menschen können andere Positionen besser verstehen, ihre Toleranz und ihr Respekt können zunehmen und sie können eher bereit sein, eine Vereinbarung oder einen Kompromiss zu erzielen. Die Menschen können außerdem mehr Vertrauen in ihre eigenen politischen Fähigkeiten, in die Fähigkeiten anderer und in die Demokratie selbst gewinnen.

Es versteht sich von selbst, dass die methodischen Herausforderungen für diese Art von Forschung enorm sind: Die Anzahl der Variablen, die Anzahl ihrer Interaktionen, sowie das Problem, viele Variablen auf sinnvolle Weise zu „messen“, machen es schwer, feste Schlussfolgerungen zu ziehen. Was wir jedoch finden können, sind einige plausible Tendenzen.

Was möchten wir mit den Workshops erreichen? Und was sollten wir dafür „messen“? Zunächst wollen wir zeigen und erfahren, dass es möglich, nützlich, aufschlussreich und sogar unterhaltsam ist, mit anderen Bürgerinnen und Bürgern grundlegende Werte, Ideen und Perspektiven zu diskutieren, über die in unseren Gesellschaften oft zu wenig oder gar nicht gesprochen wird. Es ist eine allgemeine Erfahrung in Bezug auf Bürgerschaft, Deliberation, Reflexion, Höflichkeit, soziale und politische Partizipation, die hoffentlich den Boden für viele weitere Deliberationen ebnet.

Ziel unserer deliberativen Workshops ist es daher nicht nur, grundlegende Ideen und Werte zu vermitteln, sondern ein soziales Umfeld zu schaffen, in dem die Menschen diese Ideen und Werte frei und respektvoll diskutieren können. Wir bieten eine Erfahrung und Schulung in der Kommunikation von oft sehr sensiblen Themen an, die zu Missverständnissen, Reibungen, Konflikten und Radikalisierungen führen können. Die Workshops sollen Menschen, Migranten sowie Einheimischen helfen, Ideen, Werte, Orientierungen und Gewohnheiten, die oft implizit bleiben und sich zu unproduktiven und störenden Konflikten entwickeln, in respektvoller Weise auszudrücken und offen zu diskutieren. Wir versuchen Reibungen aufzulösen bevor sie zu unüberschaubaren Kontroversen werden.

Wir können nicht sicher sein, dass alle Teilnehmer alles verstehen, was in unseren Deliberationen besprochen wird. Aber auch wenn nicht alles vollständig verstanden wird, ist die Erfahrung, dass man über diese Art von Themen vernünftig reden kann, unerlässlich. Die Diskussionen über Homosexualität sind ein extremes Beispiel: Viele Leute sprechen nie über das Thema, es ist ein Tabu. Einige Teilnehmer haben eventuell zum ersten Mal offen darüber gesprochen. Vielleicht haben wir ihre Meinung nicht geändert. Wir haben aber gezeigt, dass man eine konsistente, kohärente Diskussion darüber führen kann. Der Rest kommt hoffentlich später.

Zu guter Letzt wollen wir am Ende Zweifel wecken, Risse bilden und einige Fenster zum Nachdenken öffnen. Indem wir uns mit Demokratie, ethischem und politischem Pluralismus, Freiheit, Toleranz oder Identität befassen, zeigen wir, dass es nicht viel gibt, über das wir wirklich sicher und deshalb dogmatisch sein können. Werte kollidieren und müssen abgewogen werden. Werte haben unter verschiedenen Umständen unterschiedliche Gewichte. Daher ist dieser Prozess des Abwägens ein kontinuierliches und unendliches Unterfangen. Wir wollen und brauchen Freiheit, weil es keine ewigen, universellen Wahrheiten gibt, wie man sein Leben gestalten soll. Wir wollen und brauchen Demokratie grundsätzlich aus demselben Grund: Wir brauchen ein Verfahren, um Kompromisse und Vereinbarungen zu erzielen, weil die Menschen unterschiedliche, regelmäßig konkurrierende Ideen, Interessen und Werte haben und weil es keine ‚Philosophenkönig‘ oder andere Diktator gibt, der auf alle Fragen eine universell richtige Antwort hat. Identitäten sind in erheblichem Maße das Produkt zufälliger Zeiten und Orte; sie sind flexibel und verändern sich. Autonomie bedeutet, dass man den Einfluss der Faktoren, unter welchen die Identität gebildet wurde, versteht.

Folglich ist vieles fließend, instabil und im Prozess der Veränderung. Alle Demokratie, Pluralismus, Freiheit oder Respekt beruhen am Ende auf Zweifeln, und auf das Verständnis, dass es keine endgültigen, universellen und ewigen Antworten auf viele der Fragen gibt, mit denen wir uns in unserem (sozialen) Leben befassen müssen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass alles geht: Im Gegenteil, es besteht ein ständiges Bedürfnis, wieder und wieder, die Fragen und Antworten durchzusprechen, und wir können dies auf vernünftige, fruchtbare Weise tun.

Nun, wie soll man das alles erforschen? Zuerst, Menschen ändern ihre Meinung nicht leicht, und selbst wenn sie ihre Meinung geändert haben, werden sie dies nicht ohne weiteres feststellen, geschweige denn zugeben. Daher ist es sehr schwer herauszufinden, inwieweit die Menschen während der Deliberationen zu neuen Schlüssen gekommen sind. Wir versuchen dies nicht zu beantworten indem wir, zum Beispiel die Teilnehmer am Ende unserer Workshops einfach fragen wie sehr sie sich verändert haben. Sie wissen es nicht, sie wollen es nicht sagen, und Änderungen könnten später, viel später, im Hintergrund erscheinen. Möglicherweise sind die beobachteten Meinungsänderungen zudem nur das Ergebnis von Sozialisation, Gruppendruck und Konformismus (vgl. Rosenberg 2014). Vielleicht glauben die Menschen, die ihre Meinung geändert scheinen zu haben, nicht „wirklich“ an ihre neue Position. Aber glaubten sie dann „wirklich“ an ihren alten Standpunkt?[2]

Darüber hinaus: Wie kann untersucht werden, ob Menschen ihre eigenen Positionen kritischer befragen, ein besseres Verständnis für die erkenntnistheoretischen Grenzen ihrer Standpunkte und somit ein besseres Verständnis der Grundlagen von Pluralismus, Demokratie, Freiheit, Respekt und Toleranz bekommen haben? Und wie lässt sich untersuchen, ob Menschen trotz dieses Verständnisses fest in der Lage sind, pluralistische, demokratische, tolerante, aufgeschlossene Positionen zu verteidigen? Wie kann man diesen substantiell rationellen Qualitäten auf eine bedeutungsvolle Weise ermessen? Es ist möglich, einige Tendenzen zu erforschen, und wir haben hier einige Ideen. Die Forschungsergebnisse bleiben jedoch immer Indikativ.[3]

Die Forschungsdebatte zur Deliberation ähnelt ein wenig der Debatte über die Kunstförderung. Kunst kann viele wichtige Auswirkungen haben, die ebenfalls kaum zu messen sind: Kunst kann ein soziales Labor sein, in dem neue Formen und Gedanken entwickelt und getestet werden, Kunst kann uns helfen, mit dem Unvereinbaren in Einklang zu kommen, Kunst kann uns mit einer unerwarteten Schönheit in einem barbarischen Dasein bewegen, Kunst kann Wahrheiten auf kraftvolle, evokative Weise ausdrücken, Wahrheiten, die mit nichtästhetischen Mitteln nur unzureichend ausgedrückt werden können. Wir alle wissen in gewissem Sinne, dass dies wahr ist. Wenn wir Glück hatten, lernten wir dies durch die Erfahrung vieler künstlerischer Ausdrücke. Es gibt keine wirkliche Notwendigkeit, dies zu “beweisen”. In einem Zeitalter der “evidenzbasierten Politik” fallen wir jedoch allzu oft in die Versuchung, quantitative Nachweise dafür zu liefern, dass Kunstsubventionen eine gute Investition von Steuereinnahmen sind. Regelmäßig landen wir dann bei Untersuchungen die beweisen, dass Kunstsubventionen gut für den Tourismus sind (vgl. Blokland 2013).

Feedback

Trotz aller methodischen Probleme haben wir versucht, relevantes Feedback von unseren Teilnehmern zu erhalten. Wie gesagt, die Workshops sollen den Teilnehmern zeigen, dass die Diskussion mit den Mitbürgern über die grundlegenden Themen, die wir auf die Tagesordnung setzen, Aufklärung, Bindung und Unterhaltung bieten kann. Hoffentlich haben sie das Gefühl, sie hätten ihr Verständnis für bestimmte Themen und deren Zusammenhänge verbessert. Hoffentlich haben sie nach fünfzehn Stunden Deliberation das Gefühl, dass es sich lohnt, sich mit den Mitbürgern über diese Fragen zu unterhalten. Und hoffentlich würden sie gerne wieder an solchen Veranstaltungen teilnehmen.

In unserem Feedback Formular haben wir sechs indirekte Fragen zu den Erfahrungen unserer Teilnehmer gestellt. Weil die meisten unserer Teilnehmer äußerst höfliche und unterstützende Leute waren, sind sehr direkte Fragen, wie „Haben Sie im Workshop etwas gelernt?“ Oder „Denken Sie, dass der Moderator gute Arbeit geleistet hat?“, wenig aufschlussreich. Wahrscheinlich ermisst man mit diesen Fragen vor Allem wie nett die verschiedenen Teilnehmergruppen waren. Deshalb haben wir sie mehr indirekt gefragt:

  1. Die wichtigsten Punkte zu jedem Thema wurden in den Gruppendiskussionen behandelt. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)
  2. Ich fand viele Kommentare anderer Leute hilfreich für meine eigene Perspektive zu diesen Themen. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)
  3. Ich habe festgestellt, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten oft sehr gute Gründe für ihre Ansichten hatten. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)
  4. Ich glaube, dass ich einige Themen besser verstanden habe. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)
  5. Ich glaube, dass ich ein besseres Verständnis entwickeln konnte, wie bestimmte Themen zusammenhängen. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)
  6. Ich würde noch einmal in einem Programm wie diesem teilnehmen. (1 stimme überhaupt nicht zu – 5 stimme voll zu)[4]

Den Teilnehmern der Workshops für Flüchtlinge wurden außerdem drei offene Fragen gestellt:

  1. Gibt es bestimmte Werte, Traditionen oder Meinungen in Deutschland, die Sie sehr anders als Ihre eigenen wahrnehmen und es für Sie schwerer machen, hier leben zu können?
  2. Wurden Themen behandelt, die Ihnen unangenehm waren und die sie nicht gerne besprochen haben?
  3. Gab es andere Themen, über die Sie gerne geredet hätten und die nicht thematisiert wurden?

Nicht viele Leute beantworteten diese offenen Fragen. In der Antwort auf Frage 8 wurde häufig (4-mal) “Homosexualität” erwähnt. Dieses Thema verursachte regelmäßig Unruhe (wir werden darüber gesondert berichten). Bezüglich Frage 7, schrieben mehrere Personen, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sie beunruhigten. Und in Bezug auf die letzte Frage gaben mehrere Befragte an, sie hätten gerne etwas mehr über die deutsche Kultur und Geschichte gesprochen. Insbesondere wollten die Befragten mehr darüber erfahren, wie sie mit Deutschen in Kontakt treten könnten. Der (niederländische) Moderator und Autor dieses Artikels wusste es auch nicht.

Ergebnisse

2018 wurden 73 Feedback Formulare nach Workshops mit Multiplikatoren, deutschen Freiwilligen und Fachleuten gesammelt, die Neuankömmlingen bei der Integration in die deutsche Gesellschaft unterstützen. Wir haben das in Westdeutschland gemacht (Andernach, Germersheim, Osthofen, Köln und Hamburg) und im Osten (Berlin-Lichtenberg, Neuruppin, Delitzsch und Haldensleben). 2017 hatten wir weniger Workshops für Multiplikatoren. Wir haben 52 Rückmeldungen von Teilnehmern in Neuss, Mettmann, Kiel und Berlin (Neuköln)[5] im Westen sowie von Teilnehmern in Jüterbog und Babelsberg im Osten erhalten. Zu guter Letzt haben wir 2017 und 2018 41 Rückmeldungen von den Teilnehmern unserer Workshops für Flüchtlinge gesammelt. Diese fanden in Babelsberg, Luckau, Groß Glienicke (2x), Potsdam, Bad Belzig, Eggersdorf, Teltow, Waßmannsdorf und Fürstenwalde (2x) statt.[6] [5] Folglich beträgt die Gesamtzahl der Rückmeldungen 166.

Rückmeldung der Multiplikatoren in 2017 und 2018

125 Personen beantworteten 6 verschiedene Fragen. Insgesamt haben wir also 750 Antworten. 74.3% von diesen 750 Antworten waren positiv. Man hatte also mit “stimme zu”(47.6%), oder mit “stimme voll zu” (26.7%) geantwortet. Nur 8% von allen Antworten waren negativ (3% „stimme überhaupt nicht zu“). Neutrale Antworten machen 18% aus, sind jedoch bei jeder Frage sehr unterschiedlich, wie wir in den folgenden Daten sehen können. Mittelwert für alle Fragen zusammen ist 3.98/5, was wir als sehr ermutigend betrachten.

1. Die wichtigsten Punkte zu jedem Thema wurden in den Gruppendiskussionen behandelt.

Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 4.3/5. 89% der Befragten stimmten zu, dass die relevanten Punkte von den Gruppendiskussionen abgedeckt wurden. Die sehr geringe Anzahl besonders negativer Antworten (1.5%) kam wie bei den anderen Fragen hauptsächlich von Teilnehmern eines Workshops in Delitzsch, Sachsen (später werden wir zusätzlich einige qualitative Beschreibungen unserer Workshops veröffentlichen, in denen wir auch die abweichenden Erfahrungen in dieser Kleinstadt erläutern).

2. Ich fand viele Kommentare anderer Leute hilfreich für meine eigene Perspektive zu diesen Themen.

Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 4, wobei 81% der Befragten auf einer bestimmten Ebene der Meinung waren, dass die Kommentare anderer Personen, konstruktiv für die eigenen Meinungen und Ansichten waren.

3. Ich habe festgestellt, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten oft sehr gute Gründe für ihre Ansichten hatten.

Wie bei der vorherigen Feedback-Frage ist ein wünschenswertes Ergebnis einer Deliberation, dass man die Gründe der Meinungen und Ansichten anderer erfasst und versteht. Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 3.66, wobei 62.7% der Befragten der Meinung sind, dass andere Teilnehmende ihre Ansichten gut begründen konnten. Wenn wir die Antworten auf die zweite und dritte Frage mit den anderen Antworten vergleichen, scheint es als wären die Teilnehmer mit dem Workshop selbst etwas zufriedener als mit den Beiträgen der anderen Teilnehmer. Wir freuen uns, dass der Input der Moderatoren anscheinend geschätzt wurde. Idealerweise wäre ihre Rolle in einer gut entwickelten pluralistischen Demokratie jedoch unbedeutend.

4. Ich glaube, dass ich einige Themen besser verstanden habe.

Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 3,88, wobei 70% der Befragten der Meinung waren, dass die Diskussionen hilfreich waren, um ein besseres Verständnis der besprochenen Themen zu erreichen.

5. Ich glaube, ich habe ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie bestimmte Themen zusammenhängen.

Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 3.94, wobei 75% der Befragten (vollständig) zustimmen, dass sie ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Themen entwickelt haben. Dies ist ein ermutigendes Ergebnis, da wir insbesondere versuchen, die Einsicht zu fördern, wie Definitionen und Begründungen von (“Wesentlich umstrittene”) Begriffe wie Pluralismus, Demokratie, Freiheit, Emanzipation und Respekt zusammenhängen.

6. Ich würde noch einmal an einem Programm wie diesem teilnehmen.

Die durchschnittliche Antwort auf diese Frage ist 4.1, wobei 79% der Befragten zustimmen oder vollständig zustimmen, dass sie an anderen Deliberationen teilnehmen möchten. Natürlich ist dieses Ergebnis nicht weniger ermutigend: Wir hoffen, dass die Teilnehmer erfahren, dass die Diskussion grundlegender Probleme mit Mitbürgern nicht nur aufschlussreich, sondern auch unterhaltsam ist.

Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland

Gibt es Unterschiede zwischen den Rückmeldungen der Teilnehmer in West und Ost Deutschland? In Übereinstimmung mit unseren Erfahrungen während der Workshops fanden wir tatsächlich Unterschiede.[7]

In Bezug auf die erste Frage (die wichtigsten Punkte zu jedem Thema wurden in den Gruppendiskussionen behandelt), waren die Menschen im Westen positiver als die im Osten: Im Westen waren 51,3% “völlig einverstanden”, im Osten 34,1%. Im Westen “stimmten” 95% der Befragten zu oder “stimmten völlig zu”, im Osten waren es 78% der Befragten.

Fanden die Leute die Kommentare anderer Leute hilfreich für ihre eigene Perspektive zu den von uns diskutierten Themen (Frage 2)? Wir beobachten hier vergleichbare Tendenzen: Im Osten stimmten 17% der Teilnehmer völlig zu, im Westen waren es 28%. Der Prozentsatz der Personen, die “einverstanden” waren, betrug in beiden Fällen etwa 56%. Mehr Menschen im Osten als im Westen antworteten neutral, oder beurteilten die Beiträge anderer Teilnehmer negativ.

Die dritte Frage “Ich habe festgestellt, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten oft sehr gute Gründe für ihre Ansichten hatten”, erhielt die meisten negativen Antworten in der Rückmeldung. Diese Zahl war jedoch trotzdem relativ gering: Rund 68% der Befragten im Osten und 54% im Westen stimmten der Aussage zu. Im Osten stimmten 20% und im Westen 36% weder zu, noch widersprachen ihr.

Was ist aus diesen etwas anderen Ergebnissen zu machen? Versuchten die Menschen im Osten gegenüber den Standpunkten anderer etwas positiver zu sein, weil sie der Meinung sind, dass Standpunkte, die in der Öffentlichkeit besonders mit dem Osten assoziiert worden (die Unterstützung populistischer Standpunkte ist im Osten etwa doppelt so groß wie im Westen) stigmatisiert worden? Diesen Eindruck haben wir während der Workshops bekommen. Im Westen machten sich viele Menschen Sorgen über populistische Tendenzen, die sie besonders im Osten beobachteten, und waren mit den jeweiligen Ansichten und Meinungen weniger geduldig. Dies könnte in ihren Antworten eine Rolle gespielt haben. Die Frage war jedoch, wie sie die Begründungen für die unterschiedlichen Ansichten schätzen, die die Leute im Workshop gaben.

Mehr als im Osten glaubten die westlichen Teilnehmer, “sie hätten ein besseres Verständnis für einige Themen entwickelt” (Frage 4). Fast 80% der Teilnehmer im Westen antworteten “stimme voll” zu. Im Osten lag dieser Prozentsatz bei 51. Möglicherweise ist die letzte Gruppe von Teilnehmern besser ausgebildet oder informiert, oder diese Gruppe fühlt sich kollektiv stigmatisiert. Ihre Mitglieder fühlen sich daher weniger bereit zuzugeben, dass sie etwas Neues gehört haben, oder waren einfach nicht offen für solches.

Signifikante Unterschiede fanden wir auch in Bezug auf die Aussage: „Ich glaube, ich habe ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie bestimmte Themen zusammenhängen“ (Frage 5). Im Osten antworteten 9,8% bzw. 56% der Gefragten mit „Stimme voll zu“ und „stimme zu“. In Westdeutschland änderte sich diese Zahl auf 32% „stimme voll zu“ und 48.7% „stimme zu“. 22% der Teilnehmer im Osten und 16,7% im Westen antworteten neutral.

Möchten die Teilnehmer wieder an einem solchen Workshop teilnehmen (Frage 6)? In Westdeutschland stimmte die überwiegende Mehrheit der Befragten (88,4%) “völlig zu” oder “stimmte zu”. Im Osten waren es 61 Prozent. In Ostdeutschland stimmten 17% der Befragten „überhaupt nicht zu“ oder „nicht zu“. In Westdeutschland waren es nur 4%.

Wie bereits erwähnt, wurden negative Antworten in Ostdeutschland überwiegend in Delitzsch gegeben. Wenn wir alle Antworten auf die sechs verschiedenen Fragen zusammenfassen, dann hatte diese Gruppe von Teilnehmern (oder besser: eine Gruppe in dieser Gruppe) im Durchschnitt viermal mehr negative Bewertungen als in Ostdeutschland insgesamt.[8] Nur 1.5% aller Antworten in Delitzsch gehören zur Kategorie “stimme voll und ganz zu”. In ganz Ostdeutschland betrug dieser Prozentsatz 20. Die folgende Tabelle fasst diese Daten zusammen:

%StimmeVoll Zu Stimme ZuNeutralStimme nicht zuStimme überhaupt nicht zu
Delitzsch, Sachsen1.531.839.412.115.2
Ost Deutschland2047.221.76.84.3

Selbst wenn wir Delitzsch aus unserem Datensatz entfernen, stellen wir aber fest, dass die Teilnehmer im Westen mit den Deliberationen etwas zufriedener waren als im Osten. Einige Faktoren könnten dies erklären (die qualitativen Beschreibungen der Workshops, die wir noch veröffentlichen werden, könnten hier mehr Licht geben). Mit noch mehr Daten können wir diesen Trend in Zukunft noch genauer untersuchen.

Erstens könnte es sein, dass Bürger im Westen mehr Erfahrung mit dieser Art von Diskussionen haben. Sie wussten besser, was sie zu erwarten hatten, und freuten sich offensichtlich auch über den Austausch. Eine Frage wie „Was ist eine demokratische Entscheidung?“ war meistens der Anfang einer enthusiastischen und offenen Deliberation, bei der die Menschen gemeinsam nach plausiblen Antworten suchten. Im Osten hatten die Menschen regelmäßig mehr Angst, “falsche” Antworten zu geben, waren sie oft etwas misstrauisch oder schienen eine solche Frage sogar als eine implizite Beleidigung zu erfahren: “Möchten Sie etwa sagen, dass wir (im Osten) das nicht wissen?“ In Sachsen schien dies sicherlich ein unerwünschter Nebengedanke zu sein. Viele Menschen scheinen sich von Vertretern der Wissenschaft, der Presse, der Politik oder des „Westens“ respektlos behandelt zu fühlen. Bestimmte Fragen und Themen können im Osten tiefgreifend andere Emotionen und Antworten auslösen als im Westen.

Zweitens wissen wir bereits aus der bestehenden Literatur (vgl. Blokland 2011, 2015), dass glückliche Menschen mit einem starken Selbstwertgefühl, Menschen, die sich in ihrer Gemeinschaft sicher und respektiert fühlen, bessere Deliberatoren sind, als unglückliche Leute. Sind die Menschen im Westen glücklicher als im Osten? Wahrscheinlich ist das der Fall.[9]  Sicherlich in wohlhabenden, blühenden Orten, wie zum Beispiel in Rheinland-Pfalz (großartiger Wein dazu!), oder in Köln und Hamburg fanden wir viele Menschen, die einfach sehr aufgeschlossen und zufrieden zu sein scheinen. Sie wollten unbedingt eine gute Zeit miteinander haben, und so hatten wir es.

Unterschiede zwischen Flüchtlingen und Multiplikatoren

Im Durchschnitt gaben die Flüchtlinge sogar mehr positive Rückmeldungen als die (meistens) deutschen Multiplikatoren. Wenn wir zum Beispiel alle Fragen zusammenfassen, dann fallen 47% der Antworten der Flüchtlinge in die Kategorie “Stimme voll zu “. Für die Multiplikatoren beträgt dieser Prozentsatz 26.7 (siehe nachstehende Diagramme).

Trotzdem hatten die Flüchtlinge oft größere Vorbehalte gegen die Teilnahme an den Workshops als ihre deutschen Kollegen. Möglicherweise hatten sie in ihrem Heimatland negative oder keine Erfahrungen mit offenen Gesprächen über grundlegende ethische und politische Fragen gemacht. Oft hatten sie auch Angst, falsche Antworten zu geben, die sich auf ihren Status in Deutschland auswirken könnten. Aber nachdem sie sich einigermaßen wohl und sicher fühlten, waren sie oft sehr an der Deliberation interessiert. Sie waren neugierig und fühlten sich, war unsere Eindruck, als Bürger ernst genommen, die in der Lage waren, ihre eigenen Gedanken zu den Themen zu entwickeln, die wir zur Diskussion stellten. Wir haben zudem das Gefühl, dass sie regelmäßig auch etwas erleichtert waren, diese Themen endlich diskutieren zu können (vgl. Blokland 2017b). Ihnen war bewusst, dass viele Europäer befürchten, dass sie andere Ideen und Werte haben. Ihre Gastgeber hatten diese vermeintlichen Unterschiede jedoch selten offen angesprochen. Unsere direkte Herangehensweise hat man auch als Zeichen des Respekts geschätzt.

Feedback der Flüchtlinge zu den einzelnen Fragen.

61% der Flüchtlinge stimmten der Aussage „die wichtigsten Punkte zu jedem Thema wurden in den Gruppendiskussionen behandelt“ vollständig zu (Frage 1). 39% “stimmten zu”. Bei den Multiplikatoren waren es nicht insgesamt 100, sondern „nur“ 89%.

Die Aussage „Ich fand viele Kommentare anderer Menschen hilfreich für meine eigene Perspektive zu diesen Themen“ (Frage 2) stimmten 85% der Flüchtlinge „zu“ oder „voll zu“. Bei den Multiplikatoren betrug dieser Prozentsatz 89.

Die Aussage “Ich habe festgestellt, dass Menschen mit unterschiedlichen Ansichten oft sehr gute Gründe für ihre Ansichten hatten” (Frage 3) stimmten 25,5% der Flüchtlinge “voll zu” und 53,5% stimmten „zu“. Für die Multiplikatoren betrugen diese Prozentsätze 16,2 bzw. 46,5. Von der letzten Gruppe gaben 32% eine neutrale Antwort. Für die Flüchtlinge betrug dieser Prozentsatz 19,5.

80% der Flüchtlinge stimmten der Aussage “Ich bin der Meinung, dass ich ein besseres Verständnis für einige Themen entwickelt habe” (Frage 4), zu oder voll zu. Bei den Multiplikatoren betrug dieser Prozentsatz 70.

31,7% der Flüchtlinge stimmten “voll zu” und 44% stimmten der Aussage zu, “Ich glaube, ich habe ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie bestimmte Themen zusammenhängen” (Frage 5). Für die Multiplikatoren betrugen diese Prozentsätze 24,4 bzw. 51,3. Nur 2,5% der Flüchtlinge gaben eine negative Antwort (6% der Multiplikatoren).

Die letzte Frage lautete: „Ich würde noch einmal an einem Programm wie diesem teilnehmen.“ 80.5% der Flüchtlinge antworteten mit „stimme voll zu“ und 7,3% mit „stimme zu“. 79% der Multiplikatoren gaben ebenfalls eine positive Antwort. Etwa die Hälfte stimmte „voll zu“. 5% der Flüchtlinge möchten nicht noch einmal teilnehmen, 8.4% waren es bei den Multiplikatoren (hauptsächlich in Sachsen).

Abschließende Bemerkungen

Die Leute, die die deliberativen Workshops besucht hatten, hatten überwiegend eine gute oder sogar sehr gute Zeit und äußerten meistens den starken Wunsch, wieder an vergleichbaren Veranstaltungen teilzunehmen. Sie hatten auch das Gefühl, dass sie etwas über die Themen und über die Zusammenhänge dieser Themen gelernt hatten. Ein wichtiges Ziel unserer Workshops war sicherlich die Vertiefung der Einsicht in die Wechselbeziehungen zwischen den Definitionen und Begründungen der von uns besprochenen Schlüsselbegriffe. Im Vergleich zu diesen sehr positiven Erfahrungen waren die Teilnehmer etwas weniger begeistert von den Beiträgen ihrer Mitbürger. Trotzdem waren wir selbst oft beeindruckt von den Fähigkeiten einheimischer und zugezogener Bürger, gemeinsam ein Verständnis für die Probleme zu entwickeln, die wir an den Tisch gebracht hatten. Fähigkeiten werden offensichtlich durch Praxis weiterentwickelt, und aus diesem Grund sollten wir unsere Demokratien neu beleben und stärken, indem wir die Deliberation zu einem konstituierenden Element unserer Gesellschaften machen. Es ist nicht immer leicht, Leute für diese Veranstaltungen zu gewinnen, aber wenn sie einmal teilnehmen, machen sie meist positive Erfahrungen.

Potsdam, Januar 2019

Literaturverzeichnis

Bächtiger, Andre und Dominik Wyss. 2014. Empirische Deliberationsforschung – ein systematischer Überblick. Zeitschrift für vergleichende Politikwissenschaft. Vol.7. Pp.155-181.

Blokland, Hans T. 2011. Pluralism, Democracy and Political Knowledge: Robert A. Dahl and his Critics on Modern Political Science and Politics, Burlington (VT) and Farnham: Ashgate publishing.

Blokland, Hans T. 2013. Cultuur is geen marktgoed (Culture is no economic commodity). Beleid en Maatschappij, Vol.40, No.4, pp.427-31.

Blokland, Hans T. 2017a. ‘Deliberation against Populism: Reconnecting Radicalizing citizens in Germany and Elsewhere’.

Blokland, Hans T. 2017b. ‘Taking people seriously: a new approach for countering populism and furthering integration’.

Blokland, Hans T. 2018a. Wie deliberiert man fundamentale Werte? Bericht aus Brandenburg über unsere Ansätze, Herangehensweisen und Erfahrungen.

Blokland, Hans T. 2018b. Das Anfechten extremer Wahrheitsansprüche: wie man mit monistischen Denker über die offene pluralistische Gesellschaft deliberiert.

Blokland, Hans. T. 2018c. Radikalisierung Entgegenwirken: Was die Forschung von Deliberation und Radikalisierung uns lehrt.

Blokland, Hans T. und Florentin Münstermann. 2018. Deliberation gegen Populismus: Ein Modellprojekt. 2018. Potsdam.

Fishkin, James. 1995.  The Voice of the People:  Public Opinion and Democracy.  New Haven: Yale University Press.

Rosenberg, Shawn W. 2014. Citizen competence and the psychology of deliberation. In: Elstub, Stephen and Peter Mclaverty (eds). Deliberative Democracy: Issues and Cases. Edinburg University Press, pp. 98-117.

Anmerkungen

[1] Im Laufe der Jahre haben mehrere Personen einen wichtigen Beitrag zur Erhebung und Analyse der Daten geleistet. Wir möchten uns besonders bei Tessa Schneider und Alexandra Johansen bedanken. Für Kommentare zu einem Entwurf dieses Artikels danken wir Florentin Münstermann.

[2] Kritiker verlangen regelmäßig viel mehr von Deliberation als von anderen Formen des gesellschaftlichen Lebens. Plötzlich müssen die Teilnehmer ihre neuen Positionen vollständig verstehen und völlig von diese Positionen überzeugt sein, denn ansonsten ist die Deliberation kein echter Erfolg. Aber Leute erfahren deliberativen Workshops auf unterschiedlichen Weise und erlernen sich unterschiedliche Sachen. Einige können tatsächlich vor Allem deshalb eine neue Position einnehmen, weil sie herausgefunden haben, dass diese Position in der jeweiligen Gruppe oder in der Gesellschaft am meisten akzeptiert wird. Sie sind überwiegend Konformisten. Leider haben Menschen viele Mängel. Aber ist es immer noch kein Fortschritt, wenn einige Menschen bestimmte Positionen einhalten, die besser verteidigt werden können, obwohl sie diese Verteidigung selbst nicht vollständig verstehen?

[3] Wir haben beispielsweise vorgeschlagen, ein Jahr lang mit verschiedenen Gruppen zu deliberieren und unter anderem wiederholte Umfragen und Inhaltsanalysen von Aufsätzen durchzuführen, welche von den Teilnehmern über „wesentlich umstrittene Konzepte“ wie Demokratie verfasst wurden. Selbst dann können die Ergebnisse aber hauptsächlich indikativ sein. Um nur ein zusätzliches Problem zu nennen: Wenn eine Forschung länger dauert, steigt die Anzahl der intervenierenden Variablen auf persönlicher, sozialer und politischer Ebene, mit der Folge, dass Kausalitäten immer schwieriger zu erkennen sind. Diesem Problem kann wiederum nur durch eine bedeutende Erhöhung der Teilnehmerzahl begegnet werden.

[4] Die ersten drei Fragen wurden von Fishkin (1996: 223) inspiriert.

[5] Die Teilnehmer des Berliner Workshops waren alle aus Westlichen Gebieten und Städten zugezogen.

[6] Die Anzahl der Rückmeldungen ist geringer als die Anzahl der Teilnehmer, da wir aus zufälligen Gründen (z. B. das Vergessen der Formulare) nicht immer Rückmeldungen gesammelt haben. Wir haben die Teilnehmer auch gebeten, die Formulare erst am Ende des Workshops auszufüllen. Aufgrund anderer Verpflichtungen wie der Kinderbetreuung waren einige Leute regelmäßig schon gegangen, bevor wir die Formulare austeilen konnten. Wir gehen nicht davon aus, dass diese fehlenden Antworten einen strukturellen Einfluss auf die Endergebnisse haben.

[7] Es ist zu berücksichtigen, dass wir eine größere Anzahl von Workshops in Westdeutschland organisiert haben. Zusammen hatten diese Workshops 78 Befragte. In der Region der ehemaligen DDR füllten insgesamt 47 Personen ein Feedbackformular aus (in Jüterbog, Babelsberg, Berlin (Lichtenberg), Neuruppin, Delitzsch und Haldensleben). Die Anwesenheit von 3 extrem negativen Teilnehmern in Delitzsch hatte offensichtlich einen relativ großen Einfluss auf die Durchschnittsergebnisse in den ehemaligen DDR-Staaten.

[8] Wie jeder Lehrer oder Entertainer weiß, kann die Anwesenheit einer einzigen dominanten Person in einer Gruppe von zum Beispiel 15 Personen, die aus persönlichen Gründen oder Motivationen beständig Negativität hervorruft, tiefgreifende Folgen für die Ergebnisse eines jeden Ereignisses haben. Wir werden in den empirischen Beschreibungen der Workshops einige Beispiele dafür geben. Je größer die Anzahl der Workshops und Beobachtungen ist, desto geringer ist selbstverständlich der Einfluss dieser Art von Variablen.

[9] Sehe auch: Deliberation against populism reconnecting radicalizing citizens in east Germany elsewhere; und Blokland & Münstermann. 2018. Deliberation gegen Populismus: Ein Modellprojekt.

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